Kerze und Computer

Meine Meditationsgruppe triffst sich zurzeit nur online. Ich hoffe, dass wir so unser gemeinschaftliches Schweigen über die Corona-Krise retten können

 Es ist Montagabend. Ich fahre den Rechner hoch, befestige die Kamera am Bildschirm, öffne die Emails und klicke auf den Link mit der Einladung zur Meditation. In kleinen rechteckigen Feldern sehe ich einige Freundinnen und Freunde aus meiner Meditationsgruppe. Jede und jeder berichtet kurz, wie sie im Lockdown leben, wie es ihnen in Familie und Beruf ergeht, was ihnen Sorgen und was Hoffnung macht. Dann schlägt die Leiterin des Abends an ihrem Bildschirm die Klangschale an, der dunkle Ton verhallt über den Lautsprecher in meinem Arbeitszimmer. Wir schweigen.

Ich sitze aufrecht mit geschlossenen Augen auf meinem Bürostuhl und versuche, meinen Atem wahrzunehmen, wie er geht und kommt. Die Leiterin spricht Impulsworte zur Einstimmung und schlägt nun dreimal die Klangschale. Damit läutet sie die halbstündige Meditation ein. Die meisten anderen aus der Gruppe bleiben jetzt online, sie stellen den Laptop neben ihren Sitzplatz und folgen weiter den Anleitungen. Aber ich möchte beim Meditieren offline sein, klicke auf »Meeting beenden«, fahre den Rechner runter und schließe die Bürotür hinter mir. In Wohnzimmer habe ich mein Meditationskissen schon bereitgelegt für das Sitzen in Stille.

Seit mehr als 15 Jahren gehöre ich nun zu dieser Gruppe. Bis zum Frühjahr vergangenen Jahres waren wir meist zu zehnt oder zwölft, wenn wir uns montagabends trafen. Da versammelten wir uns mitten in unserer Stadt in einem Frauenkloster. Dort begrüßten wir uns wie alte Vertraute, saßen im großen Kreis um das Licht einer Kerze in unserer Mitte. Nach einiger Zeit gehörte ich dann auch zum Leitungsteam, das die Treffen organisiert und im Wechsel durch den Abend führt.

Und jetzt? Während ich das schreibe, spüre ich, dass es mich im Oberbauch dumpf drückt. Denn auch in dieser Gruppe hat die Krise viele Veränderungen erzwungen. Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor einem Jahr mussten wir den lieb gewordenen Klostersaal, in dem die Gruppe seit vierzig Jahren zuhause war, schnell verlassen. Die überwiegend alten Nonnen des Konvents sollten vor Ansteckungsgefahr streng geschützt sein.

Wir fanden ein neues Quartier in der Gemeinde, in der das Osnabrücker Projekt Kapelle der Stille beheimatet ist. In diesen Räumen mit viel Platz und eher moderner, schlichter Architektur habe ich selbst sehr gerne meditiert. Anderen fiel es hingegen schwer, diesen Ortswechsel zu akzeptieren. Für viele ist so eine spirituelle Gemeinschaft eben nicht nur an die Menschen, sondern auch an den Raum gebunden, in dem sich die gemeinsame Stille manifestiert. Oft ist es ja so, dass man schon ruhig und gesammelt wird, wenn man nur den vertrauten Meditationsraum betritt.

Einige durften dann nicht mehr kommen, weil sie selbst oder enge Angehörige im Pflegeheim leben. Und manche hatten trotz Abstand und Lüften Angst vor Ansteckung. So kamen Ende des Jahres nur noch sechs Frauen und Männer zum Meditieren in der Gruppe. Alle anderen blieben zuhause. Von manchen hörten wir, dass sie dort zeitgleich und in Gedanken an jedem Montag abend mit uns verbunden, meditierten. Von anderen hörten wir nichts.

Als die Lage immer gefährlicher wurde verabredeten wir uns per Internet. Jede und jeder zündet nun einzeln eine Kerze an und meditiert in den eigenen vier Wänden. Aber wir tun es gemeinsam, immer zur gewohnten Zeit und fühlen uns dabei verbunden. Allerdings sind wir online selten mehr als sechs Personen. Besonders die Alten verunsichert die neue Technik und wir können ihnen nicht aus ihren Schwierigkeiten helfen, weil sie alleine zu Hause sein müssen. Die meisten haben aufgegeben oder es gar nicht erst versucht.

Meine Gefühle zur Meditation mit digitaler Unterstützung sind immer noch zwiespältig. In meinem Beruf sind Treffen auf zoom und ähnlichen Plattformen ja mittlerweile Routine. Aber ich spüre auch einen Widerstand, dass diese technisch-funktionale Kommunikation sich nun auch im Bereich meiner Meditation breit macht und fürchte, dass diese kümmerliche Atmosphäre die Fülle des Spirituellen schädigen könnte. Dennoch bin ich froh, dass die digitalen Geräte uns diese Möglichkeit auftun in dieser schweren Krisenzeit. Damit können wir wenigstens bruchstückhaft die Verbindungen in der Meditationsgruppe halten. Ich hoffe, dass es unserem Spirit so gelingen möge, das Wertvolle über die Krise hinaus zu bewahren: Unsere über Jahrzehnte gewachsene Verbundenheit, die sich tief und wesentlich anfühlt. Und die Stille, das kostbare Gut

 Publik Forum Nr. 8      30. April 2021