"Darum bin ich auf der Welt"

Gloria Boateng wurde in Ghana herumgeschubst und in Deutschland zusammengeschlagen. Jetzt schafft sie Bildungschancen für benachteiligte Kinder. Ein Portrait.

Auf der Straße, in Bahn und Bus wird sie oft angepöbelt. Dabei ist sie Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, der höchsten Auszeichnung unseres Staates. Gloria Boateng ist Lehrerin für Deutsch und Technik an einer Hamburger Schule. Als schwarze Frau wird sie immer wieder von rassistischen Übergriffen bedroht. Für viele Hamburger Kinder und Jugendliche aber ist die 41-Jährige der Mensch, der sie herausholt aus Angst und Hoffnungslosigkeit aufgrund von  Armut, Fremdheit und Schulversagen. Die gebürtige Ghanaerin ist die Gründerin von SchlauFox, einem Verein, der in Hamburg dafür sorgt, dass Mädchen und Jungen aus schwierigen Verhältnissen eine Bildungschance bekommen. Dabei war sie selbst mal so ein verlorenes Kind.

 In Hamburg im Jahre 2008, so berichtet die vor Lebendigkeit sprühende Frau mit den schwarzen Rasta-Locken, verließen zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss. Über tausend Jugendlichen mitten in einer reichen Stadt drohte ein Leben in Perspektivlosigkeit.  Als junge Frau kurz vor Abschluss ihres hart erarbeiteten Studiums , die selbst in ihrer Kindheit mit vielen Benachteiligungen zu kämpfen hatte, erkannte Gloria Boateng diese Probleme - und gründete mit einigen anderen den Verein SchlauFox, um Kinder und Jugendliche aus armen Verhältnissen in und außerhalb der Schule gezielt zu unterstützen. Es war Wow!“ erinnert sich die sportliche schlanke Frau noch immer begeistert an die damalige Aufbruchsphase. Es war der Start für ein erstaunliches, weite Kreise ziehendes Erfolgsmodell. Heute hat SchlauFox acht festangestellte Mitarbeitende und 300 Menschen engagieren sich ehrenamtlich. Es gibt Programme für Risikoschülerinnen und – schüler, für Geflüchtete, auch Einzelfallhilfe in Notlagen. Und Kurse, in denen gekocht, geschlemmt und Freude an gesundem Essen vermittelt wird.

 

"Dieses Gefühl, niemand ist an mir interessiert"

Gloria Boateng kann sich einfühlen in die Not der Kinder und Jugendlichen, die sie unterstützt. Sie kennt sie aus eigener Erfahrung. »Schon früh hatte ich dieses Gefühl: Niemand ist an mir interessiert«, sagt sie. »Ich begriff: Ich muss meinen Weg selbst gehen.«

 Gloria Boateng wurde in Ghana geboren und lebte dort als Kind. Als ihre junge Mutter nach der Trennung von ihrem Mann schließlich Arbeit in Deutschland fand, wurde die kleine Gloria bei wechselnden Verwandten untergebracht. Die meiste Zeit lebte sie bei ihrer Großmutter auf dem Dorf. Diese erzog sie mit viel Strenge. Als Gloria zehn Jahre alt war, holte ihre Mutter sie nach Hamburg. Drei Monate später wurde die Mutter abgeschoben. Ihr Großvater, bei dem sie danach lebte, starb ein Jahr später. So kam sie zu Pflegeeltern in ein Dorf in Schleswig-Holstein. Da war sie elf Jahre alt.

 Als schwarzes Mädchen wurde Gloria auf dem norddeutschen Dorf zur Zielscheibe. Ein Nachbarjunge sprühte ein Hakenkreuz an ihr Fenster, platzierte gut sichtbar die Fahne einer rechtsextremen Organisation auf sein Grundstück und pöbelte mit rassistischen Sprüchen. Auf dem Weg zur Schule wurde sie von drei jungen Männern krankenhausreif geschlagen. Gloria zog sich aus dieser Gefahr und Not zurück in die Welt der Bücher. Sie las viel, dachte intensiv nach und stellte sich bereits als 16-Jährige der Frage, wie und wofür sie leben wollte: „Es war ein Hineinhorchen und Finden“, erzählt sie heute über diese Zeit mit ernstem Gesicht. Bereits als Teenager wurde ihr in dieser schweren Zeit klar: »Ich will viel lernen und das weitergeben, so dass auch andere ihr Leben gestalten können.«  

 

"Da ist eine Kraft, die mir hilft, wieder aufzustehen"

Nach dieser Entscheidung habe sie »eine Art inneren Frieden und Balance gespürt, die ich zuvor nicht gekannt hatte«. Sie zögert kurz im Gespräch, hält inne, richtet sich dann auf und sagt freundlich und klar:  »Das ist der Grund, warum Gott mich auf die Erde gestellt hat. Das ist meine Verantwortung.«  Trotz großer Hürden und dem ständigen Gefühl nicht dazuzugehören, der Schwangerschaft und der Geburt ihrer Tochter im letzten Schuljahr, schaffte Gloria Boateng im Jahr 2000 das Abitur. Sie machte eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin, arbeitete danach an der Universität Hamburg als fremdsprachliche Angestellte, erzog ihr Kind alleine und absolvierte parallel ein Lehramtsstudium in den Fächern Deutsch und Technik. Wenn sie von ihrem Lebensweg und ihren Erfahrungen bei SchlauFox erzählt, unterstützt  sie ihre Worte mit kräftigen, geschmeidigen Bewegungen:  „Da war zum Beispiel eine junge Frau, sie glaubte überhaupt nicht mehr an sich. Sie sagte, sie schaffe nicht mal den Hauptschulabschluss. Aber dann unterstützten wir sie regelmäßig zwei Stunden pro Woche. Sie hat einen Schulabschluss, macht eine Ausbildung, ergreift einen Beruf.“  Als riefe sie es in Welt hinein, fragt sie plötzlich: »Was sind schon zwei Stunden pro Woche?! Viele sitzen vor dem Fernseher zwei Stunden pro Tag!“

Da sei eine „Kraft, die mir hilft, wieder aufzustehen, obwohl ich zuvor dachte, ich will jetzt nicht mehr“, sagt Gloria Boateng. Sie nennt diese Kraft „Gott“. Aber es ist nicht ihr privater Gott, der nur für sie alleine da wäre. Sondern einer, der sie anstiftet, sich „für unsere friedliche und demokratische Gesellschaft zu engagieren“, besonders auch „unsere Vielfalt zu feiern.“ Da sieht man wieder ihren wachen und festen Blick, das Sprühen in ihrem Gesicht und ihr volles Haar schwingt fröhlich mit.

 

Publik Forum Nr. 22                                              20. November 2020