Den Bäumen geht die Kraft aus

Warme Winter, extreme Trockenheit, viele Schädlinge: Was Deutschlands Wald jetzt braucht. Unterwegs mit einer Försterin

Eigentlich könnten es erholsame und heitere Stunden sein. Im Wald bei Göttingen spielt  an einem sonnigen Tag im Spätsommer der Wind mit den Blättern der großen alten Bäume und lässt sie hellgrün-silbern glänzen. Ihr zartes Rauschen erfüllt die Luft. Aber da stehen zwischen dem Grün auch Bäume, die schon jetzt braune Blätter, kahle Äste und stark ausgedünnte Baumkronen tragen. Einige stehen nur noch als Baumgerippe da. Es ist beklemmend: Nach Fichten und Kiefern werden jetzt auch die heimischen Buchen braun. Große Trockenheit, Hitze und neue Schädlinge, die sich wohlfühlen im warmen Klima, lassen die Bäume krank werden. Dabei sind intakte Wälder besonders wichtig für Mensch und Tier: für gute Luft, sauberes Wasser, kühlere Temperaturen und als CO2-Speicher. Wie aber kann Wald, der selbst durch die Klimaveränderung geschädigt wird, vor dieser noch Schutz geben? Was müsste jetzt geschehen um die Wälder zu pflegen und zu schützen?

 

 „Wir sind Bürgerwald“ sagt Lena Dzeia, die Leiterin des Forstamtes der Stadt Göttingen in Niedersachsen. Mit 1.600 Hektar Laubmischwald, der sich östlich der Universitätsstadt über eine weite hügelige Landschaft erstreckt, hat man einen großen wertvollen Bestand an alten Bäumen. Beschlüsse des Rates legen fest, dass dieser Wald der Erholung der Bürgerinnen und Bürger und dem Naturschutz dient. So müssen Lena Dzeia und ihre Mitarbeiter – anders als viele Förster – diesen Wald nicht wie einen Wirtschaftsbetrieb führen. „Wir haben die Aufgabe, für Jung und Alt Naturerlebnisse zu ermöglichen und die Göttinger kennen ihren Wald gut!“, sagt die sympathische Försterin, die gerne fröhlich lacht.

 

 „Wir merken, dass hier was nicht in Ordnung ist“ sagen Spaziergänger jetzt, wenn sie Försterin Dzeia im Wald treffen. „Was können wir tun?“ fragen sie und schauen auf die Bäume, die schwer geschädigt sind. Sie bieten Hilfe an: „Ich will gerne spenden. Wenn Ihr nicht genügend Personal habt, kann ich auch Bäume pflanzen.“ Was aber jetzt tun?  Was böte schnelle Hilfe? Warme Wintern mit wenig Niederschlag, sehr viele Schädlinge und ein zweiter Sommer mit großer Hitze und Trockenheit, so eine Situation gab es für den Wald noch nicht. Der Klimawandel zeigt sich schneller und heftiger als erwartet. Dabei hat ein Wald wie in Göttingen, in dem der Schutz der Natur Vorrang genießt, deutlich bessere Chancen, zu bestehen als eine Kultur zu industrieller Nutzung. Mit seinem hohen Bestand an großen alten Bäumen und der Vielfalt seines Ökosystems hat er mehr Möglichkeiten, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen als ein Forst, in dem vor allem Fichten oder Kiefern stehen  Deshalb sind naturnah bewirtschafteten Wälder in der Zeit des Klimawandels ein Modell. Von hier gehen Impulse aus, wie man jetzt mit Wäldern umgehen sollte.

 

 Auch im Göttinger Stadtwald liegt Holz. Vor wenigen Wochen gefällt, geschnitten und entrindet liegen Fichtenstämme auf großen Stapeln am Wegesrand. Auch hier setzt der Borkenkäfer den Nadelgehölzen zu. Im  vergangenen warmen Winter überlebten die Schädlinge und stürzten sich im Frühjahr auf die Bäume. Wenn sie gut im Saft stehen, bilden Nadelgehölze bei Schädlingsbefall  Harz und schließen den Borkenkäfer in Harztropfen ein, so dass er stirbt. Aber bei Stress durch Trockenheit versagen ihre Kräfte und die Käfer fressen sich durch. Försterin Lena Dzeia entschied: Die Fichten jetzt fällen um Folgeschäden an anderen Gehölzen zu vermeiden. Im Göttinger Stadtwald hatten Fichten bislang nur einen Anteil von drei Prozent. Das ist sehr wenig im Vergleich zu anderen Wäldern in Deutschland  -  und jetzt von großem Vorteil. Auch wenn hier alle Fichten fallen müssen, bleibt trotzdem noch Wald, reiner Laubwald. In den Lücken, die die Fichten hinterlassen, können die Samen anderer Bäume sprießen.

 

 Das könnte die grüne Lunge sein

 Deutschland ist zu einem Drittel mit Wald bedeckt. Diese große Fläche könnte eine grüne Lunge sein, aber die Hälfte sind Fichten- und Kiefernforste. Baum an Baum, dicht an dicht, eine 5,2 Millionen Hektar große Wirtschaftsfläche. Als „Brotbaum der Forstwirtschaft“ wurden die beiden Nadelbäume bezeichnet. Sie lieferten 200 Jahre lang schnell und viel Holz. Ursprünglich stammen die Flachwurzler aus nordischen Ländern mit kühlem, feuchten Klima. Jetzt gehen sie zugrunde wegen Hitze, Sturm und Schädlingen. Bereits 2018 waren 110.000 Hektar solcher Forste schwer geschädigt. Riesige Flächen dürrer, brauner Bäume ragen gen Himmel. In diesem Jahr, mit noch mehr Borkenkäfern und Bäumen, die bereits vorgeschädigt sind, nimmt ihre Zahl zu.

 

 Angesichts der Schäden fragen nicht nur Bürger, was sie tun können, auch Verwaltung und Politik sorgen sich um den Wald „Was können wir machen?“. Als Fachfrau stellt Lena Dzeia eine Gegenfrage: „Was sollten wir jetzt nicht mehr machen?“ Messungen haben gezeigt, dass an heißen Sommertagen die Temperaturen im Göttinger Wald um neun Grad Celsius kühler sind als auf den umgebenden Freiflächen. Dieses kühle Klima ist nicht nur erholsam für Mensch und Tier sondern auch überlebenswichtig für die Bäume selbst, damit sie die Hitze überstehen. Deshalb muss der Wald gegen Licht- und Wärmeeinfall von außen jetzt gut geschützt werden. „Wir müssen das Kronendach intakt halten“ sagt die 34-jährige Försterin. Abgestorbene Laubbäume lässt sie nur dann entfernen, wenn sie nahe am Wegesrand stehen und zur Gefahr für Menschen werden könnten, sollten sie brechen. „Alle anderen lassen wir drin, um den Wald nicht weiter zu stressen.“ Das tote Holz verbleibt im Wald, kann langsam verrotten und so wird zu Humus im Boden. Denn auch der Boden im Wald braucht jetzt besonderen Schutz: Er muss locker und humos sein, damit er Wasser und Feuchte speichern kann. Mit dieser behutsamen Herangehensweise zeigt Försterin Dzeia Weitblick.

 

 Mittlerweile melden sich in Deutschland viele Experten, Verbändevertreter und auch Waldbesitzer zu Wort, die dringend vor einem „Weiter so!“ in der Forstwirtschaft warnen. So schreiben unter anderem der ehemalige Leiter der Saarländischen Forstverwaltung, Wilhelm Bode, und Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung in einem offenen Brief an Umweltministerin Svenja Schulze, dass eine „ökologische Katastrophe“ drohe, wenn demnächst auf tausenden von Quadratkilometern in Deutschland die geschädigten Bäume geschlagen und geräumt werden sollten. Verbleibe kein Totholz auf den Flächen, gebe es keine Chancen, dass sich dort Humus bilde und Boden entstehe, der Wasser speichern könne. Auch schädigten die schweren Ernte- und Räummaschinen den empfindlichen Waldboden schwer: Sie verdichten ihn und machten ihn undurchlässig für die Feinwurzeln der Bäume. Dringend notwendig  sei jetzt eine  Art des Wirtschaftens, die das gesamte Ökosystem des Waldes berücksichtige.

 

 Auf den Boden, auf dem der Wald wächst, achtet man in Göttingen schon seit Jahrzehnten. Rückepferde, speziell ausgebildete, schwere und muskulöse Kaltblüter ziehen hier die Bäume aus dem Wald bis zum nächsten befestigten Weg. Von dort aus werden die Bäume dann verladen und abtransportiert. Der Einsatz von Pferden hat große Vorteile: Der lockere Waldboden wird geschont und man braucht insgesamt weniger befestigte Wirtschaftswege. Auch die CO2-Bilanz ist stark: Ein Rückepferd lebt von nachwachsenden Rohstoffen und ersetzt im Laufe seines Arbeitslebens rund 70.000 Liter Diesel. Nicht nur in Göttingen sondern zum Beispiel auch auf der Schwäbischen Alb, in Rheinland-Pfalz oder in Mecklenburg-Vorpommern werden nach alter Tradition Rückepferde in der nachhaltigen Forstwirtschaft eingesetzt. 

 

Die Kraft des Ökosystems

 In der Bundespolitik gehören Wald und Forst in das Ressort von Agrarministerin Julia Klöckner (CDU). Bislang setzt sie sich in ihrer Agrarpolitik umtriebig und wortreich dafür ein, dass sich nichts ändert. Jetzt will sie einen „nationalen Waldgipfel“ einberufen „um unseren Wald zu retten.“  Es gehe dabei  „nicht nur um Investitionen in Millionenhöhe für Aufforstungen. Sondern auch um die langfristige Anpassung der Wälder an den Klimawandel", so Klöckner. Doch wie will die Ministerin dieses Ziel erreichen? Es ist der Vorschlag zu hören, Douglasien und Küstentannen zu pflanzen. Diese wachsen schnell und es wird behauptet, sie seien „klimafest“. Aber diese Arten kommen aus Nordamerika und sind damit invasive Arten. Es ist nicht erforscht, welche Folgen dem hiesigen Ökosystem erwachsen, wenn sie in großem Stil gepflanzt würden. Vor allem aber: Das Wirtschaftsmodell des Forstes bleibt unangetastet. Aber genau hier liegen die Probleme: die gleiche Sorte Bäume, alle gleich alt und gleich empfindlich, mit schwerem Gerät im Kahlschlag geerntet  -  das führt zu den Lücken, die den Wald insgesamt gefährden.

 

 „Das waren einmal unsere Vorzeigebestände.“ Die sonst fröhlich klingende Stimme von Försterin Lena Dzeia wirkt plötzlich gepresst, ihr Blick sorgenvoll. Wir sind in einem Teil des Waldes, in dem hohe Buchen mit schütteren Kronen und braunen Blättern stehen. Bis vor wenigen Wochen waren sie noch schöne alte Bäume. „Schädigungen kommen bei Buchen sich mit einem oder zwei Jahren Verzögerung. Das haben wir jetzt.“ Die Buchen stehen auf einem Bergrücken mit kargem Kalkboden. Sie wurzeln nur auf einer dünnen Humusschicht und danach direkt in Gestein. Bei zu großer Trockenheit sterben bei Buchen die Feinwurzeln ab. „Als Förster geht’s einem da nicht gut“ sagt Lena Dzeia.

 

 „Anders als Fichten und Kiefern sterben Buchen noch nicht flächig ab.“ Auf dem Kalkhügel im Göttinger Stadtwald stehen auch viele Buchen, die noch gesund aussehen, obwohl alle hier den gleichen mageren Standort, die gleiche Hanglage, Sonneneinstrahlung und gleich wenig Wasser haben. „Es gibt Buchen, die absterben und welche, die nicht. Wir wissen nicht, woran das liegt. Vielleicht an ihrer jeweiligen Genetik“ sagt die Försterin und hofft, dass der große schöne Bestand an Buchen im Göttinger Stadtwald sich trotz allem halten kann. Sie setzt auf die Kräfte, die ein vielfältiges Ökosystem gerade in schwierigen Situationen entwickeln kann. Deshalb gibt es im Göttinger Wald jetzt möglichst wenig Eingriffe: Bei kleinen Flächen, setzt man auf Naturverjüngung. Man wartet, welche der vielen Samen, die von umstehenden Bäumen  auf den Boden fallen, zu sprießen beginnen und sich durchsetzen. Nur wo es nötig ist, auf großen Flächen, werden im Göttinger Stadtwald ergänzend neue Baumsetzlinge gepflanzt. Sonst wachsen bei viel Licht dichte Grasflächen und Gestrüpp heran, die das Aufkommen neuer Bäume behindern, „Nur wenn es nötig ist“, betont Försterin Dzeia.

 

 Nötig ist in Zeiten der Klimaveränderung ist jedoch nicht nur der Blick auf Wälder und Forste  -  auch unser Hunger nach Holz ist kritisch zu hinterfragen. In großen Mengen wird es für den Gebäudebau, für Möbel und Papier verwendet. Naturnah bewirtschaftete Wälder produzieren aber weniger Holz als es Fichten- und Kiefernforste bislang taten. So sind nicht nur für den Wald, sondern in der gesamten Wirtschaft nachhaltige Konzepte beim Holzverbrauch gefragt. Nur wenn wir es schaffen, mit Holz sorgsam und sparsam umzugehen, hat der heimische Wälder eine Chance im Klimawandel. Und wir mit ihm.

 

 

Infokasten

 

Für wen ist der Wald da?

 

Fast die Hälfte, 48 Prozent des Waldes in Deutschland gehört privaten Besitzern. Auffallend oft haben alte Adelsfamilien viel Wald. Zum Beispiel die Thurn und Taxis: Fürstin Gloria ist Herrin über knapp 20.000 Hektar Wald und mehrere große Forstbetrieben. Auch der Erbprinz zu Fürstenberg und die Hohenzollern haben vergleichbar großen Waldbesitz. Aber es gibt auch viele kleine Forstbesitzer, die weniger als 20 Hektar bewirtschaften.

 Knapp ein Drittel, 29 Prozent des Waldes, gehört den Bundesländern. Das Land Bayern ist mit 778 000 Hektar der größte Waldbesitzer in Deutschland und hat mehr Wald als Hessen (Platz zwei mit 342 000 Hektar) und Niedersachsen (Platz drei mit 335 000 Hektar) zusammen.

 Ein knappes Fünftel, 19 Prozent, gehören Körperschaften. Dieser Wald ist im Besitz von Gemeinden und Städten, Stiftungen oder Universitäten. Nur vier Prozent des Waldes in Deutschlang gehört dem Bund. Diese Flächen werden oft von der Bundeswehr genutzt und sind dann als Sperrgebiet nicht zugänglich.

 Sonst aber sind die Wälder in Deutschland für jeden frei zugänglich, man darf Tag und Nacht darin herumspazieren, sich erholen und so weit wie möglich Natur. Das Bundesverfassungsgericht hat zu den  Wäldern, die im Besitz der öffentlichen Hand sind, im Jahr 1990 ein Urteil gesprochen:  "Die Bewirtschaftung des Körperschafts- und Staatswaldes (...) dient der Umwelt- und Erholungsfunktion, nicht der Sicherung von Absatz und Verwertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse."

 

Publik Forum Nr. 17      6. September 2019