"Oder schreiben Sie nur?"

Schriftstellerinnen müssen noch immer um Anerkennung auf dem Buchmarkt kämpfen. In der Textsammlung "Schreibtisch mit Aussicht" schildern 23 bekannte Autorinnen ihre kreative Arbeit zwischen Vorurteilen, Intuition und alten Rollenbildern

Als die Schwestern Emily, Anne und Charlotte Brontë ihre ersten Gedichtbände veröffentlichten, taten sie dies unter dem männlichen Pseudonymen Ellis, Acton und Currer Bell. Die drei Schriftstellerinnen, deren Bücher später Weltruhm erlangten, mussten sich im 19. Jahrhundert als Männer ausgeben, um in der Literaturszene überhaupt wahrgenommen und gelesen zu werden. Die Vorurteile gegen schreibende Frauen sind mit dem Zeitalter der Brontës keineswegs verschwunden. Selbst die inzwischen weltberühmte Autorin der Harry-Potter-Bücher, Joanne K. Rowling musste ihre weibliche Identität 1997 hinter den geschlechtsneutralen Initialen »J.K.« verbergen, da ihr Verlag fürchtete, dass Jungen keine Bücher lesen würden, die von einer Frau geschrieben wurden.

 

Dass der Buchmarkt bis heute eine Männerdomäne ist und Schriftstellerinnen es dort noch immer schwer haben, dokumentiert die aktuelle Textsammlung »Schreibtisch mit Aussicht«, das die Autorin Ilka Piepgras herausgegeben hat. Ihr Buch enthält Texte von 23 zeitgenössischen Schriftstellerinnen aus Europa und den USA. Bekannte Autorinnen wie Siri Hustvedt, Sibylle Berg, Mariana Leky oder Zadie Smith berichten darin, wie sie zu ihrem Beruf kamen, wie sie kreativ werden und wie sie es schaffen, sich die nötige Zeit und Konzentration zum Schreiben abzutrotzen. Fast alle mussten sich gegen das unausgesprochene Vorurteil behaupten, dass Frauen keine schreibenden Profis sind, sondern nur nebenbei etwas schreiben. Vor allem aber ringen sie selbst mit der klassischen Rollenerwartung, dass Frauen ihrer Familie immer den Vorrang geben und die schöpferischen Tätigkeiten dafür zurückstellen müssten.

 

 In ihrem Beitrag Ich schreibe nur (Still just writing) etwa schildert die amerikanische Schriftstellerin Anne Tyler, die über zwanzig preisgekrönte Romane geschrieben hat, eine Szene auf dem Schulhof, wo sie gerade eines ihrer Kinder abholen will. Eine andere Mutter kommt auf sie zu und fragt: »Haben Sie schon Arbeit gefunden? Oder schreiben Sie nur?« Heute, als knapp Sechzigjährige, antwortet sie mit feiner Ironie auf die Frage nach ihrer Arbeit: »Ich schreibe nur.«

 

Jüngere Autorinnen, die noch mitten im Zwiespalt zwischen ihren Aufgaben als Mutter und dem Schreiben stehen, sind da angespannter und wirken oft streng, vor allem mit sich selbst. »Seit ich ein Kind habe, zerfällt die Zeit grundsätzlich in zwei Teile, sie zerfällt in Zeit mit meinem Kind und Zeit zum Arbeiten, was in meinem Fall im Wesentlichen die Tätigkeit des Schreibens bedeutet oder bedeuten sollte«, schreibt die 37-jährige deutsche Autorin Antonia Baum, die mit dem Schreiben auch das notwendige Geld für sich und ihr Kind verdienen muss. Sie sei dabei »mehr und mehr ein Offizier geworden«.

 

Das klingt nicht nach himmlischer Eingebung oder Texten, die einfach so aus der Feder fließen. Ähnlich wie Baum betonen fast alle Schriftstellerinnen, wie grundlegend Disziplin ist und dass ohne zeitintensives und konzentriertes Arbeiten nichts entsteht. Doch das Buch besteht keinesfalls nur aus Klage, sondern bietet auch inspirierende Einblicke in die kreativen Prozesse der Schriftstellerinnen. Nicole Krauss, die mit ihrer »Geschichte der Liebe« international erfolgreich wurde, vergleicht ihre Arbeit etwa mit der von Paläontologen, die »tage- und wochenlang ein Gebiet abschreiten, in dem sie ein Fossil vermuten; bis sie endlich einen losen Knöchel oder eine Kralle finden und zu graben anfangen.« Wie viele andere Autorinnen berichtet Krauss, dass sie sich nie an einen vorgefassten Plan, sondern eher an Zufälle hält. Die Struktur entstünde erst nachträglich.

 

 Eva Menasse vergleicht einen guten Roman mit einem Flugzeug. Beide, so schreibt die österreichische Schriftstellerin, bestünden aus Tausenden von Einzelteilen, die alle funktionieren und zusammenspielen müssten, damit etwas in Schwung geraten kann. Sie gibt Einblicke, wie sie die meiste Zeit mit Umschreiben verbringt, Wörter und Sätze immer wieder umstellt, ernst und spielerisch, bis sie endlich den gewünschten Ton treffen. »Kämmen und flöhen« nennt Menasse diese Feinarbeit – und ist bei aller Disziplin auch eine Staunende: »Dass im Laufe der langen, durchlittenen und manchmal auch frenetisch genossenen Zeit etwas entsteht, das andere Menschen lesen wollen, ist immer wieder ein Wunder.«

 

So gibt dieses Buch auch ein besonderes Zeugnis der schöpferischen Kraft von Frauen, die gegen alle Widerstände auf ihre Intuition vertrauen und Lust auf den eigenen kreativen Prozess machen. 

 

llka Piepgras: Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben. Kein und Aber. 288 Seiten. 23 €

 

Publik Forum Nr. 6                                26. März 2021