Der Klimakiller aus dem Moor

Es gibt nichts Besseres für junge Pflanzen als Torf. Doch sein Abbau setzt jede Menge Kohlendioxid und Lachgas frei. Zumindest für Hobbygärtner gibt es umweltfreundliche Alternativen.

Tief dunkelbraun ist die Erde hier. Offen und zerfurcht liegt sie da, so weit das Auge blickt. 30 Kilometer nördlich von Osnabrück liegt das Campemoor; man fährt dorthin an tiefen Entwässerungsgräben entlang, auf Straßen, die schief und holprig sind, weil der Boden unter ihnen abgesackt ist. In der Ferne stehen zwei gelbe Bagger und eine bullige Torfstichmaschine, in der Nähe liegen lange Stapel von frisch gestochenen Soden, zum Trocknen ausgelegt. Im Campenmoor wird Torf abgebaut, immer noch.

 

»Es ist deprimierend, über solche Flächen zu gucken«, sagt der Biologe Matthias Schreiber. Er fährt regelmäßig in die Moorlandschaften nördlich von Osnabrück. Schreiber, in grauer Outdoor-Jacke und robustem Schuhwerk, ist ein sachlich ruhiger Typ, für große Emotionen ist der 64-Jährige nicht zu haben. Seit vierzig Jahren kämpft er für den Erhalt oder die Renaturierung von Moorlandschaften. Er betreibt ein Büro für Umwelt- und Landschaftsplanung, schreibt Gutachten, auch für Gerichtsverfahren. Oft mit Erfolg. Die gelben Bagger im Campenmoor aber sind Zeichen einer Niederlage: Die Genehmigung des Landkreises, hier Torf abzubauen, gilt noch viele Jahre und ließ sich bisher nicht aufheben. An einigen Stellen sieht man noch die grünen Reste der Wiesen, die örtlichen Bauern haben sie an die Abbau-Firma verkauft, die gute Preise macht. Anderswo liegt schon die zwei Meter tiefe Schicht schwarze Moorbodens wie aufgeschnitten da.

 

460 000 Tonnen Treibhausgase

 Was kaum jemand weiß: Torf abzubauen schadet dem Klima. Es schadet ihm so sehr, wie Braunkohle zu verfeuern oder mit dem Flugzeug vom einen auf den anderen Kontinent zu fliegen. Die Hochschule Osnabrück hat in einem Gutachten berechnet, dass aus dieser knapp hundert Hektar großen Fläche Abbaufläche im Campenmoor, bis zum Jahr 2050 insgesamt 460 000 Tonnen Treibhausgase entweichen werden.

 

Und Torf ist überall. Ob Primel oder Petunie, junge Tomaten- oder Kohlrabipflanze, Basilikum oder Salbei im Topf – sie alle stehen in Erde, die Torf enthält. Torf hält jungen Wurzeln lange feucht, gibt ihnen Halt und hält die Erde trotzdem locker. Aber der Abbau von Torf zerstört Moore. Intakte Moore speichern riesige Mengen Kohlenstoff. Sie sind Feuchtgebiete, in denen stark gefährdeten Tier- und Pflanzenarten noch einen Lebensraum finden.

 

Torf ist ein fossiler Rohstoff, erdgeschichtlich etwas jünger als Braunkohle. Aus trocken gelegten Mooren, aus Äckern und Wiesen auf trocken gelegten Moorböden, aus torfhaltigen Pflanzsubstraten und Torfbriketts entweichen weltweit in großem Ausmaß klimaschädliche Gase. In den fossilen Pflanzenresten des Moorbodens ist Kohlenstoff gespeichert. Verbindet der sich mit dem Sauerstoff der Luft, entstehen CO2 und Lachgas – die Treibhaus-Wirkung von Lachgas ist fast 300-mal so groß wie das von Kohlendioxid. Intakte, nasse Moorlandschaften dagegen binden sechsmal so viel CO2 wie die gleiche Fläche Wald. Das gespeicherte Wasser sorgt für Kühlung bei Hitze, bei Starkregen nimmt es das Wasser auf wie ein Schwamm.

 

In Deutschland werden deshalb seit Ende der 1980er-Jahre keine intakten Moore mehr für den Abbau freigegeben. Torf wird hierzulande nur noch auf Flächen gestochen, die man zuvor landwirtschaftlich nutzte. Das klingt vernünftig. Es verschleiert jedoch, dass auch die Landwirtschaft auf Moorböden das Klima mächtig anheizt. Obwohl Moorböden in Deutschland nur acht Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ausmachen, verursachen sie mehr als ein Drittel der Treibhausgase, die in der hiesigen Landwirtschaft entstehen. Sie sind der größte einzelne Emittent im landwirtschaftlichen Sektor. Und Torf abzubauen verursacht im Vergleich zu allen anderen Moornutzungen die höchsten Emissionen pro Hektar, weil dann der Kohlenstoff besonders schnell freigesetzt wird.

 

Es fehlt eine europäische Lösung

Fünf Millionen Kubikmeter Torf werden pro Jahr allein in Deutschland abgebaut. Das klingt viel, aber allein die Nachfrage des Gartenbaus liegt bei über neun Millionen Kubikmetern. Deshalb wird der Rohstoff importiert, überwiegend aus dem Baltikum. In Estland, Lettland und Litauen werden dafür sogar noch intakte Hochmoore abgebaggert. Zwar wurden nach dem Beitritt der baltischen Länder zur Europäischen Union viele Moore unter Naturschutz gestellt, aber die alten Rechte zum Torfabbau blieben auch hier häufig unangetastet. So zeigt sich: Ein Ausstieg aus der Torfproduktion ist nur mittels einer europäischen Lösung möglich. Aber da gibt es noch viel zu tun: In Finnland verheizt man Torf sogar noch in Kraftwerken, um Strom zu erzeugen. Er gilt als sichere und preisgünstige Energiequelle – aber nur, weil die Schäden an der Umwelt in diese Rechnung nicht mit einfließen.

 

Als Brennstoff ist Torf leicht zu ersetzen – bei Pflanzerden im professionellen Gartenbau nicht. Für die Gärtnereien hat Torferde geradezu ideale Eigenschaften: Sie bleibt locker und bietet der Pflanze trotzdem zuverlässig Halt, kann viel Wasser speichern und nach Bedarf abgeben. Sie ist sehr nährstoffarm und kann deshalb flexibel für jede Pflanzenart passend gedüngt werden. Vor allem aber: Torf ist noch immer sehr billig.

 

Auch in vielen Produkten aus Bio-Gärtnereien steckt Torf. Es gibt zwar torffreie Pflanzensubstrate, doch Lorenz Krause sagt: »Wir können uns das nicht leisten«. Krause betreibt eine große Bio-Gärtnerei für den regionalen Markt in Norddeutschland. Die torffreien Pflanzsubstrate seien teuer, zudem sei die Anzucht der jungen Pflanzen mit ihnen sei viel komplizierter, und man riskiere Ausfälle (siehe Infokasten). »Wenn der Endkunde für die gleich aussehende Pflanze im Supermarkt 1,99 Euro zahlt, bei uns dagegen 3,50 Euro, wird er sie im Supermarkt kaufen,« sagt Krause lapidar. Von seinen Kollegen aber weiß er: »Jeder würde gerne auf Torf verzichten.«

 

Krause hält nichts davon, auf die Freiwilligkeit der einzelnen Betriebe zu setzen. Das Bundesministerium für Landwirtschaft hingegen betont in seiner aktuellen Torfminderungsstrategie, man brauche »genug Zeit für ihre Umsetzung«, weil die Branche im internationalen Wettbewerb stünde. Aber ist noch viel Zeit angesichts von Erderhitzung und Artensterben? Bio-Gärtner Lorenz Krause bezweifelt das und fordert gleiche Regeln für alle. So bald wie möglich, sagt er, und: »Man müsste uns zum Ausstieg zwingen.«

 

Es gibt aber auch jetzt schon gute Aussichten. Nur fünf Kilometer entfernt vom Campemoor liegt das Venner Moor. Noch baggert auch hier das Unternehmen Klasmann-Deilmann Torf ab, der Branchenriese in der internationalen Substratindustrie. Es passiert aber auch das: Ein schweres Räumgerät auf extrabreiten Gleisketten, fast wie eine Pistenraupe im Skigebiet, zieht gemächlich über die Erde, der Dieselmotor dröhnt. Matthias Schreiber, der Moorschützer, tritt fest auf die Bremse, hält an, fotografiert die Szene. Das Kettenfahrzeug stoppt ebenfalls, ein junger Mann steigt aus. »Ich vermute, Sie haben Ihren Auftrag mir zu verdanken«, begrüßt ihn Schreiber gut gelaunt. Hier wird die vom Torfabbau degenerierte Erde eingeebnet, der Boden darauf vorbereitet, wieder unter Wasser zu stehen. Das Gelände hier soll wieder ein Feuchtgebiet werden, aus dem kein CO2 mehr entweicht.

 

Knapp siebzig Hektar Land sollen eine wasserhaltende Bodenschicht bekommen, erläutert der Bauleiter. Seine Firma ist spezialisiert auf Biotop-Management und Renaturierung. Oft gehe diese Renaturierung nur schleppend voran, klagt der Bauleiter. Was lange schon politisch beschlossen sei, könne nicht umgesetzt werden, weil es in der Verwaltung an Personal und Kompetenz mangele. Die Folgen sind auch hier zu sehen: Kiefern und Birken bilden bereits kleine Wälder auf den für Renaturierung vorgesehenen Flächen, sie entziehen mit ihren Wurzeln dem Boden Wasser. Sie müssen aufwändig gerodet werden, bevor hier ein Feuchtgebiet entstehen kann.

 

Seit Ende 2022 hat Deutschland eine Moorschutzstrategie. Abgetorfte Flächen sollen wieder vernässt, so das Klima geschützt und die Biodiversität gestärkt werden; bis 2026 sind dafür vier Milliarden Euro eingeplant. »Das ist eine Summe, mit der jetzt viel geschehen könnte«, sagt Matthias Schreiber, »aber bislang gibt es dafür noch nicht einmal Förderrichtlinien«. Trotzdem – es geht voran. »Mir geht es ganz prima, weil wir etwas bewirkt haben«, sagt Schreiber und schaut übers weite, flache Land. »Aber es ist noch nicht fertig.«

 

Publik Forum Nr. 7            7. April 2023