O Tannenbaum!

Die meisten Weihnachtsbäume wachsen auf konventionellen Plantagen. Doch es gibt Alternativen: Biochristbäume

Ein Baum im Wohnzimmer, kräftig und grün, mit Kerzen und Kugeln festlich geschmückt, erscheint wie der Inbegriff von Weihnachten. Aber was mitten in der dunklen Jahreszeit hell und natürlich wirkt, hat Schattenseiten. Fast alle Christbäume stammen von konventionellen Plantagen, wo Gifte gegen Insekten und konkurrierendes Unkraut gespritzt wird und man mit chemisch-synthetischem Dünger für schnellen Wuchs und intensiv grüne Nadeln düngt. Massive Schäden für Tiere, Pflanzen und Böden sind die Folge. Aber es geht auch anders: Es gibt  Weihnachtsbäume, die natürlich wachsen. Sie kommen aus ökologischem Anbau oder von sogenannten Sonderflächen, wo heimische Nadelgehölze zum Beispiel unter Strom- oder auf Leitungstrassen gedeihen. 

  Auf der Fläche von 50 000 Hektar werden in Deutschland Weihnachtsbäume angebaut und nach circa zehn Jahren Wachstum geschlagen. Knapp 30 Millionen Bäume wurden nach Angaben des Hauptverbandes der Deutschen Holz verarbeitenden Industrie (HDH) im Jahr 2018 verkauft, Tendenz seit Jahren stetig steigend. Gründe für den Boom seien die steigende Zahl der Singlehaushalte, so der Verband, der Trend zum zweiten Baum bei Familien und auch Städte, Gemeinden und Handel, die vermehrt Weihnachtsbäume auf öffentlichen Plätzen und vor Geschäften aufstellten. Aber was für Weihnachtsstimmung sorgen soll, hat etliche wenig romantische Begleiterscheinungen. Einen Cocktail aus neun verschiedenen Pestiziden entdeckte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bei über 75 Prozent der Bäume an deutschen Verkaufsstellen, als er im vergangenen Jahr stichprobenartig deren Nadeln untersuchte. Fünf dieser Pestizide zählen zu den gefährlichsten, die derzeit in der EU eingesetzt werden. Auch das Umweltbundesamt bestätigt, dass Weihnachtsbäume, die auf konventionellen Plantagen wachsen, die Böden, Gewässer und Ökosysteme schädigen. Sie belasten auch direkt die menschliche Gesundheit, wenn sie über längere Zeit im Wohnzimmer stehen.

 

Ökobäume sind gefragt

 „Viele Familien mit Kindern kommen in der Vorweihnachtszeit auf unseren Hof und die Nachfrage nach unseren Bäumen steigt“ sagt Gerhard Schulte-Göbel mit ruhiger, entspannter Stimme am Telefon. Er ist der Senior-Chef eines Hofes im Sauerland, der als einer der ersten Weihnachtsbäume auf ökologisch verträgliche Weise anbaute. Auch hier, auf seinen Feldern in der Großgemeinde Schmallenberg, stehen die Nordmanntannen, Nobilis und Blaufichten in Reih und Glied. Aber der Umgang mit den Kreisläufen und Gegebenheiten der Natur auf seiner zwanzig Hektar großen Fläche ist anders: Gegen Läuse, die die frischen grünen Triebe heimsuchen, wird kein Chemiegift sondern Molke gespritzt. Molke entsteht bei der Herstellung von Käse als Restflüssigkeit und ist im Bio-Anbau zur Schädlingsbekämpfung und zur Stärkung der natürlichen Abwehrkräfte von Pflanzen erlaubt.

  Eine Herde von mehr als zwanzig Schafen frisst wucherndes Gras und junges Gestrüpp rund um die kleinen Bäume, damit diese hochkommen und wachsen können. Auch auf dieser Plantage wird gedüngt, um das Wachstum der Bäume anzuregen, jedoch auf organische Weise. „Schafkacke ist sehr wertvoll“ sagt der 80-jährige Landwirt und lacht dabei. Zusätzlich wird Trockenkot von Hühnern zur Düngung ausgebracht. Zur Überraschung von Familie Schulte-Göbel zeigte sich, dass ihre Schafherde auch einen Beitrag zur Bekämpfung von Schädlingen leistet. Auf ihrer Öko-Plantage gibt es deutlich weniger Wühlmäuse, die Wurzeln und Rinden fressen, als auf benachbarten konventionellen Anbauflächen. „Die Mäuse mögen das Getrampel der Schafe nicht, sie weichen aus“ vermutet Landwirt Schulte-Göbel.

  Weihnachtsbäume aus zertifizierter ökologischer Land- oder Waldwirtschaft gibt es in mittlerweile an 850 Verkaufsstellen in Deutschland. Die Umweltorganisation Robin Wood veröffentlicht jährlich unter www.robinwood.de/weihnachtsbaumliste eine aktuelle Liste aller Verkaufsstellen, geordnet nach Bundesländern und Postleitzahlen. Man kann sie direkt ab Hof bei Bio-Bauern kaufen, in Bio-Gärtnereien und Bioläden, teilweise auch bei Gartencentern und einigen Baumärkten. Wer bei  Letzteren einen Bio-Weihnachtsbaum kaufen will, sollte auf das Bio-Siegel achten: EU-Bio, Bioland oder Naturland. Erfreulich beim Preisvergleich: Diese Bäume sind nur wenig teurer. Aber sie sind knapp. Nur etwa ein Prozent der Weihnachtsbäume hierzulande wachsen im zertifizierten Ökolandbau.

 

Tannen direkt aus dem Wald

 Die ökologischsten Bäume aber stammen direkt aus dem Wald. Beispielsweise solche, die auch auf sogenannten Sonderflächen wachsen, unter Stromtrassen oder über Leitungen, die freigehalten werden müssen von hohem Baumbestand. Nimmt man Kontakt auf zum heimischen Forstamt, dann erfährt man, ob es die Möglichkeit gibt, einen Baum selbst auszuwählen, zu schlagen und mitzunehmen. Infrage kommen auch jüngere Exemplare von heimischen Fichten, die ohnehin geschlagen werden, damit sich die stärksten Stämme im Forst schneller entwickeln. Aber auch das erfordert Rücksprache mit dem Forstamt. Solche Weihnachtsbäume sind auf jeden Fall besonders umweltfreundlich, weil sie keine extra Flächen verbrauchen und sowieso gefällt werden.

  Trotz allem gibt es Regionen in Deutschland, in denen es nur schwer möglich ist, einen Weihnachtsbaum ohne Gifte zu bekommen. Vielleicht lässt sich der Baum dann ersetzen durch anderes Grün. Schließlich sind  geschmückte ganze Tannen und Fichten zu Weihnachten ein eher junger Brauch. Der Wunsch, mitten in der dunklen, kahlen Jahreszeit etwas Grünes als Zeichen des Lebens und der Hoffnung zu sehen, ist jedoch sehr alt. Zur Zeit der Wintersonnenwende holten schon die Germanen sich sogenannte Wintermaien ins Haus, zum Beispiel Zweige von Misteln oder Birken. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert gibt es Überlieferungen, nach denen in den Stuben wohlhabender Städter kleine Eiben, Stechpalmen und Buchsbäume aufgehängt wurden. Mit kreativen Ideen lässt sich – so meinen  Naturschutzorganisationen – gerade auch aus diesem heimischen Grün weihnachtlicher Schmuck und heimelige Atmosphäre schaffen.

 

Publik Forum Nr. 23                                            4. Dezember 2020