Sollen wir uns denn trennen?

Ein Mann und eine Frau haben das Gefühl, dass sie sich nichts mehr zu geben haben. Oder vielleicht doch noch? In der Paartherapie beginnen sie zu verstehen, was mit ihnen passiert ist.

 

Ein Mann und eine Frau sitzen auf Sesseln in einem wohnlich mit Teppich und Bildern eingerichteten Raum. Er verschränkt seine Arme fest vor der Brust, schaut abweisend und zeigt deutlich, dass er sich hier eigentlich fehl am Platze fühlt. Sie knetet nervös ihre Hände, schaut sich unsicher um, versucht ein Lächeln. Ihnen gegenüber sitzt der Therapeut. Von ihm erhoffen sie sich Hilfe, denn als Partner, so wird deutlich, können sie sich schon lange nichts mehr zu geben. Oder vielleicht doch noch?

 

„Die meisten kommen, wenn es um die Frage geht, ob sie sich trennen sollen oder nicht“ sagt Martin Brentrup, der als Psychotherapeut in seiner Praxis im Zentrum von Osnabrück seit vielen Jahren auch mit Paaren arbeitet. „Oft gab es davor schon lange Streit und ungelöste Konflikte. Eigentlich stünde für das Paar eine Veränderung, eine neue Entwicklung an, die es aber nicht bewältigt.“  Eine Paartherapeutin oder ein Paarberater kann da wie ein Moderator wirken, der explosive Situationen beruhigt, verhärtete Fronten aufweicht und das Verständnis für sich selbst und den Partner fördert. Was darf man von einer guten Beratung oder Therapie für die Paarbeziehung  erwarten – und was nicht?  

 

Die Scheidungsquote lag in Deutschland im Jahr 2014 bei 43 Prozent, fast jede zweite Ehe wurde geschieden. Denn wer sich heute bindet, übernimmt damit eine langfristig anspruchsvolle Aufgabe. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung ist heute eine solche Paarbeziehung auf Jahrzehnte angelegt. Sehr unterschiedliche Lebenszyklen und –aufgaben sind gemeinsam zu bewältigen: Sich finden als Paar, der berufliche Weg, Kinder und Karriere. Nach dem Auszug der Kinder sich wieder neu finden zu zweit. Übergang ins Rentenalter, oft mit mehr Zeit aber weniger Geld. Leben mit gesundheitlichen Einschränkungen, Krankheiten, eventuell Pflege. Gleichzeitig stiegen in den letzten Jahrzehnten die Erwartungen an die Qualität des Zusammenlebens deutlich. Anders als früher muss heute keiner mehr aus wirtschaftlichen Gründen oder gesellschaftlichen Zwängen mit dem Partner zusammenbleiben. Aber die Fähigkeiten, mit sich selbst und dem Partner in gutem Kontakt zu sein, ist nicht automatisch mit den höheren Ansprüchen gestiegen. 

 

Das Ergebnis bleibt offen

 

„Beim ersten Treffen spüre ich deutlich, dass mich jeder der beiden als Bündnispartner gewinnen will“ sagt Therapeut Brentrup. „Die Atmosphäre ist angespannt. Wir sind zu dritt im Raum und es ist sehr wichtig, dass sich keiner ausgeschlossen fühlt.“ Womit ein Paar zum Therapeuten kommt, sind sehr persönliche, oft auch komplizierte Dinge, die sich über Jahre oder Jahrzehnte entwickelt haben, über die man nicht leicht spricht. Deshalb ist ein Rahmen, in dem sich beide gut aufgehoben fühlen, grundlegend wichtig. Dazu gehört, dass es dem Therapeuten oder der Therapeutin gelingt, einen Zugang zu bekommen zu beiden Partnern und ihren je unterschiedlichen Perspektiven auf die Konflikte. Nur so, betont auch der bekannte Paartherapeut Hans Jellouschek, der mehrere Bücher zum Thema veröffentlich hat, sei es möglich, „die jetzt nötig werdenden Schritte in Richtung Veränderung zu wagen.“

 

Die heutige Paartherapie hat ihre Wurzeln in der kirchlichen Eheberatung, die in den 1960-er Jahren ihre Arbeit begann. Aufgrund der Kriegsfolgen und beginnender Säkularisierung der Gesellschaft waren viele Ehen und Familien nicht mehr stabil. Die Kirchen verstanden sich als deren Hüterin und eröffneten unter dem Dach von Diakonie und Caritas Beratungsstellen, für die sie auch Fachpersonal qualifizierten. Heutzutage können Paare, die Unterstützung suchen, in Beratungsstelle kirchlicher oder weltlicher Trägers oder die Praxis eines dafür ausgebildeten Psychotherapeuten gehen. Unterschiede gibt es bei den Kosten: Beratungsstellen erwarten nur eine Kostenbeteiligung oder Spende, in einer Psychologischen fallen zwischen 80 und 120 Euro pro Stunde an, weil Paartherapie keine Leistung der  Krankenkassen ist. Meistens reichen zehn bis 15 Stunden aus, damit ein Paar die notwendigen Schritte zur Veränderungen tun kann. Anders als früher versteht man Paarberatung heutzutage als ergebnisoffen: Sowohl die Fortführung der Beziehung als auch eine respektvolle Trennung werden als Abschluss des Prozesses anerkannt. 

 

Abschied vom Thema Schuld

 

„Es ist also noch nicht ganz klar, wohin die Reise geht“ resümiert Therapeut Brentrup am Ende der ersten Stunde mit dem Paar. Die Frau hat geschildert, wie sie darunter leidet, dass ihr Mann so verschlossen ist und dass sie sich selbst als unterlegen wahrnimmt. Der Mann hat deutlich gemacht, dass er nur mitgekommen ist, weil seine Frau ihn dazu überredet hat. Er ist der Meinung, „das bringt nichts“. Er habe nicht viel zu sagen, außer „dass eine bestimmte Art von Nähe zu meiner Frau nicht möglich ist. Damit habe ich mich arrangiert. “ Seine Frau aber will sich lieber trennen als auf Dauer in dieser Distanziertheit leben.

 

In einer Paarberatung arbeitet man sich in Schichten vor. Zuerst schaut man auf die Gegenwart: Wie ist die Situation jetzt und was ist möglich an ersten Veränderungen im Kontakt?  Dann richtet sich der Blick oft auf die Vorgeschichte des Paares: Wie haben sich die beiden im Lauf der Zeit je individuell und als Paar entwickelt? Gab es in der Vergangenheit Ereignisse, die die die heutige Krise auslösten? So zeigte sich bei dem Paar, das zu Martin Brentrup in die Praxis kam: Vor drei Jahren hatte sie für eine außereheliche Beziehung. Nachdem die Kinder ausgezogen waren, konnte die Beziehung zu ihrem Mann die entstandene Lücke nicht füllen, sie fühlte sich vernachlässigt und suchte Bestätigung außerhalb ihrer Ehe. Bislang hatte sie aus Angst und Scham darüber geschwiegen, erst im sicheren Rahmen der Therapie konnte sie sich damit zeigen.  hatte. Er hatte damals diffus gespürt, dass „da etwas war“ und sich noch mehr zurückgezogen, unnahbar und hart gemacht. Gehe einer der Partner fremd, so gehe es in der Therapie „um die Überwindung des Thema Schuld und des Thema Opfer“, so der Psychologe. Martin Brentrup hat Ausbildungen in Gesprächspsychotherapie, systemischer Therapie und Verhaltenstherapie und verfügt damit über ein großes therapeutisches Repertoire, mit denen er die Menschen, die zu ihm kommen, ansprechen kann.

 

In Buchläden und Online-Shops gibt es zahlreiche Ratgeber mit vielen Tipps: Wie man als Paar Gespräche führt, mit dem anderen und sich selbst respektvoll umgeht, wie man sich Zeit nimmt für die Liebe und auch den unvermeidlichen Streit besser managt. Könnte man solche Bücher nicht zusammen lesen und danach als Paar alles einfach besser machen? Warum helfen gute Ratschläge, auch wenn sie von Experten stammen, so wenig? „Ratgeber geben Anweisungen“ sagt Psychologe Brentrup. „Man kann beim Lesen über sich selbst nachdenken und danach ein bisschen was anders machen. Aber das genügt meistens nicht.“ Ziel der Paartherapie sei „dass man auf der emotionalen Ebene berührt wird. Das ist der Schlüssel zur Veränderung.“

 

Nach einigen Sitzungen gelingt dies auch bei dem Mann, der anfangs immer wieder „das bringt doch nichts“ sagte. Der Psychologe nimmt bei ihm eine tiefe Enttäuschung wahr und spricht ihn verständnisvoll darauf an. Der Mann berichtet daraufhin von einem Gefühl der Verlassenheit, das er schon als kleiner Junge erlitten und das sich dann durch sein Leben gezogen hat. Seine Frau ist dabei, hört zu und sieht ihn an. So verletzlich und weich hat sie ihn schon lange nicht mehr erlebt. "Ich interessiere mich für dich. Und für deine Wünsche", sagt sie berührt. Und ergänzt: "Aber du musst sie mir auch zeigen."

Nach zwölf Sitzungen entschied das Paar, es nun alleine zu versuchen und seinen Kontakt auch ohne therapeutische Begleitung persönlicher und liebevoller zu gestalten. Beim Abschied von Martin Brentrup bauen sie eine  Sicherheitsmaßnahme ein. Sie vereinbaren einen Termin in einem halben Jahr. Dann wollten sie zusammen mit dem Berater schauen, wie weit es ihnen gelungen ist.  Und sich – falls notwendig – neue Unterstützung holen.

 

Publik Forum Nr. 6       24. März 2017