Das Leben loben, dem Schönen begegnen

In der Meditation der Schönheit und Achtsamkeit schaut man mit bejahendem Blick. Neue Perspektiven können sich auftun: Auf die Wunder im Alltag und die Schönheit Gottes mitten in der Welt.

 

Anhalten. Einmal innehalten und wahrnehmen, was jetzt da ist. Vielleicht die Knospe einer Blume betrachten, den Duft des Waldes schnuppern oder dem Gesang eines Vogels lauschen. Sehen, wie zart und doch kraftvoll die Knospe ist. Welch frischer Wohlgeruch vom Wald ausströmt! Hören, wie das Lied des Vogels klingt. Wie klingen die Stimmen in mir, die wirklich das Leben ausmachen?

Meditationen der Schönheit und der Achtsamkeit kommen leicht daher. An verschiedenen Orten und bei vielerlei Gelegenheiten kann man sie machen. In einem Garten oder Park, im Wald oder am Meer, im Badezimmer oder am Rande der Straße, auf der man täglich unterwegs ist. Besonders klar zeigt sich das Schöne für viele Menschen in der Kunst, in Bildern und Skulpturen oder in der Musik. Kunst erinnert uns oft daran, was wichtig, aber auch flüchtig ist im Leben und im Alltag unterzugehen droht. Ein Kunstwerk zu betrachten, während die eigene Lebenslage gerade nicht heiter ist, gibt dem Blick auf die Welt oft wieder eine neue Perspektive und lässt Zuversicht aufkommen – auf Weite und Licht, Heiterkeit und Schönheit.

In der Meditation der Achtsamkeit gibt es Übungen, den Menschen gegenüber oder auch sich selbst anzuschauen – ohne die üblichen Bewertungsmuster, mit denen wir andere und uns selbst fast automatisch einordnen und beurteilen. Mit einem bejahenden Blick kann ich im anderen seine Gegenwärtigkeit, Einzigartigkeit und wirkliche Schönheit sehen. Vielleicht - wenn ich mich selbst vorm Spiegel mit einem Lächeln begrüße – erkenne ich sie auch in mir selbst. Und die inneren Stimmen, dass ich irgendwie besser dastehen und mehr aus mir machen sollte, verstummen. In der Meditation der Schönheit schauen wir mit liebevollem Blick. Es ist der Blick, von dem wir glauben, dass Gott uns so sieht.

Auch im stillen Sitzen ist Begegnung mit Schönheit. Vielleicht wird sie sichtbar im Licht der Kerze, die den Raum erhellt. Ihr warmes Licht und die ruhige Atmosphäre, die sie ausstrahlt, kann ich in mich aufnehmen. Während des Sitzens nimmt man sich im Leib achtsam wahr. Mit jedem Atemzug lässt sich Ruhe, Präsenz und Lebendigkeit spüren. Jetzt ist die Zeit und hier ist der Ort, sich selbst und Gott zu begegnen. In seinen „Reden der Unterweisungen“ schrieb der große Mystiker Meister Eckart um das Jahr 1300 dazu: „Denn darin liegt ein großes Übel, dass der Mensch sich Gott in die Ferne rückt … Gott geht nimmer in die Ferne, er bleibt beständig in der Nähe. Und kann er nicht drinnen bleiben, so entfernt er sich doch nicht weiter als bis vor die Tür.“

Meditation ist ein kontemplativer geistlicher Weg. Sich dabei wach und achtsam zu öffnen für das, was als schön und beglückend empfunden wird, ist der Fokus bei der Meditation der Schönheit. Diese Spiritualität lobt das Leben. Im Schönen ahne ich etwas von der Liebe und Schönheit Gottes. Es ist ein  Weg zu Gott, der immer schon da ist. Mystikerinnen und Mystiker haben vielfältig und eindrucksvoll über diesen Gott geschrieben.

Ganz anders als in der damals vorherrschenden Theologie eines strafenden und sich rächenden Gottes schreibt zum Beispiel Gertrud die Große von Helfta (1256 – 1302) über die göttliche Liebe. Gott spricht sie durch seine Schönheit an und ist für sie erfahrbar mit ihren Sinnen. „Ich trat eines Tages  - es war zwischen Ostern und Himmelfahrt – vor dem Gebet in den Hof, setzte an den Weiher mich nieder und betrachtete die Lieblichkeit dieses Ortes, der mir überaus wohlgefiel. Denn durchsichtig und hell floss das Wasser dahin, ringsum standen grünende Bäume, Vögel und besonders Tauben flogen in Freiheit hin und her, und überaus erfreute mich die traute Ruhe des verborgenen Sitzes. Da, o mein Gott, du Strom unschätzbarer Wonnen, der du, wie ich hoffe, den Anfang dieser Betrachtungen eingegeben hast und auch das Ende derselben auf dich hingezogen hast, da flößest du mir in den Sinn.“

Auch heute noch wird in der christlichen Spiritualität der geistliche Weg oft als eine schwierige Übung verstanden, die man zu bewältigen hat, als eine Schulung mit viel Wollen und zu viel Sollen. In der Meditation der Schönheit schaut man einfach auf die alltäglichen Wunder. Man möchte sie entdecken und eine gewisse Zeit dabei verweilen. Es ist nur eine andere Perspektive und Offenheit, aber keine Anstrengung nötig. Sogar Entdeckerlust und eine fast kindliche Neugier können sich einstellen: Die Dinge sehen, wie sie wirklich sind. Genau hinsehen, Neues entdecken, sich darüber wundern und freuen.

Die Meditation der Schönheit ist, anders als manchmal unterstellt wird, keine Methode, um Leid und Schmerz zu verdrängen. Sie bietet auch kein Rezept, um Enttäuschungen aus dem Leben zu verbannen. Aber sie fördert die Erkenntnis, dass alles im Leben seinen Raum und seine Zeit hat. Wenn sich in Zeiten von Schmerz und Angst schließlich wieder Augen und Ohren, Nase und Mund öffnen und vorsichtig nach dem Schönen suchen, dann ist das der Schritt aus der Niedergeschlagenheit. Man macht die zuvor verschlossenen inneren Türen wieder auf und sieht: Hier, wo ich jetzt gerade bin, ist es nicht nur öde und leidvoll, sondern auch schön.

Deshalb führt dieser kontemplative Weg nicht in eine Kunstwelt oder zu einem stilvoll verbrämten Rückzug. Im Gegenteil: Nur wer das Leben liebt, hat einen Antrieb, sich dafür einzusetzen. Der weltberühmte Dichter und wegen seines politischen Engagements von der katholischen Kirche suspendierte Priester Ernesto Cardenal gibt, wenn man ihn nach seinem Weg fragt, eine erfrischende Antwort: „Die Liebe zur Schönheit der Natur und zu den Frauen hat mich zu Gott geführt, und die Liebe zu Gott zur Revolution.“

Die mit Achtsamkeit und Dankbarkeit wahrgenommene Schönheit, in der sich die Fülle des Lebens und Gott zeigen, ist mitten in der Welt. Jeden Tag kann man daran Freude finden. In schwierigen Zeiten tut sich hier ein Refugium auf, das bewahrt und schützt. Darüber hinaus ist Schönheit eine wunderbare Quelle von Kraft – auch um sich einzusetzen für diese Welt.

 

Forum Loccum Nr. 2

Juli 2014