Schwarm macht arm

Plattform: Mehr und mehr Firmen lagern Arbeit in die Crowd aus. Arbeitsrechte fehlen dort.

 

Nur mal eben auf der Couch oder am Tisch den Laptop aufklappen, sich durchklicken zur Webseite der Plattform und schon ist man bereit. So einfach kann der Weg zur Arbeit sein, wenn man Crowdwork macht. Über Plattformen, die als Vermittler auftreten, lagern Unternehmen heutzutage Arbeit aus an Menschen, die daheim an ihrem Computer sitzen. Die Aufträge kommen aus dem Internet, sind für das Internet und werden vollständig digital abgewickelt. Was für Crowdworker (von Englisch crowd: Menge) aber nicht einfach ist: Die Bezahlung ist meistens niedrig und erfolgt häufig nach intransparenten Kriterien. Crowdworker sind nicht angestellt, sondern gelten als selbstständig.  Über ihre Arbeit sind sie nicht krankenversichert, zahlen nicht in die staatliche Rentenversicherung ein und haben keinen Anspruch auf Mindestlohn. Urlaubsgeld gibt es für sie genauso wenig wie eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Sieht so die digitalisierte Arbeit der Zukunft aus?

 

Zwar macht Crowdwork derzeit noch einen kleinen Teil der gesamten Arbeit aus. Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales arbeiten in Deutschland ein Prozent der Erwerbstätigen auf Plattformen. Aber Arbeitsforscher und Arbeitsrechtler raten zu erhöhter Aufmerksamkeit. Wie auf Plattformen Arbeit und Soziales organisiert sind, könnte ein Modell für die Zukunft sein. So meint der Soziologe Martin Krzywdzinski, der am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) zur Digitalisierung der Arbeit forscht: "Crowdwork steckt bisher vielleicht noch in den Kinderschuhen, hat aber das Potenzial, den Arbeitsmarkt gründlich durcheinanderzubringen. Wenn die Plattformökonomie mit ihrem Modell des selbstständigen Auftragnehmers weiter wächst, werden immer mehr Menschen arbeiten, ohne die Rechte, den Schutz und die Leistungen des Angestelltendaseins zu haben."

 

Abwärtsspirale in die Zukunft
Das sogenannte Testing ist Arbeit, die Unternehmen häufig an eine Crowd auslagern. Jana Gollmer, 26 Jahre alt, dunkler Typ, schmale Figur, sitzt in ihrem kleinen Wohnzimmer fast täglich am Laptop. Hier prüft sie Webseiten, Internet-Shops und Apps von großen und kleinen Firmen auf Fehler. Die Aufträge findet die studierte Geografin unter anderem auf der Plattform testCloud. Jeder, der sich hier registriert hat, kann mitarbeiten und das Testen ist wie ein Wettbewerb strukturiert. Bezahlt wird nach den gefundenen Fehlern und für jeden Fund wird nur einmal bezahlt. „Auf der Plattform kann ich auch noch abends, nachts und am Wochenende was machen. Im Moment hangel ich mich so durch und lebe von verschiedenen Jobs, da ist das von Vorteil“ sagt Gollmer, die bislang keine Anstellung als Geografin gefunden hat. „Aber die Bezahlung hier ist seltsam“ sagt sie und schüttelt dabei missbilligend den Kopf „und nie sicher.“

 

Andere Arbeiten, die Plattformen vermitteln, können zum Beispiel die Online-Recherche nach Email-Adressen sein, Befragungen im Rahmen von Marktforschung, Texte für Shops und Webseiten schreiben oder die Überprüfung von Fotos auf den Covern von CDs und DVDs in Hinblick darauf, ob sie den Bestimmungen des jeweiligen Landes für Jugendschutz entsprechen. Auch anspruchsvolle Aufträge wie Programmierung oder Design-Entwürfe werden schon über Plattformen vergeben. Nach Untersuchungen von Gewerkschaften gibt es in Deutschland über dreißig solcher Plattformen. Die digitalen Marktplätze für Arbeitsaufträge tragen flotte Namen wie content, 99Designs oder Crowd Guru.  Der größte Player der Branche heißt Freelancer, sitzt in Sydney und hat 18 Millionen Nutzer.

 

Mit digitalisierten Prozessen können Unternehmen zunehmend unabhängig von Zeit, Ort und Grenzen produzieren und Dienstleistungen erbringen. Auch die Arbeitskräfte sollen deshalb zeitlich und räumlich flexibel zur Verfügung stehen. Schon heute gibt es in vielen Unternehmen um die Stammbelegschaft einen Rand von häufig wechselnden Leih- und Werkvertragsbeschäftigten. Dieser könnte sich noch vergrößern um einen Schwarm neuer Dienstleister in der Crowd, die rechtlich als Selbständige gelten. „Es besteht Handlungsbedarf. Die Internetökonomie darf unseren Sozialstaat nicht aushöhlen«, sagt Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall und dort zuständig für den Bereich der digitalisierten Ökonomie. Man müsse „alles daran setzen, dass Crowdwork nicht zu einer Abwärtsspirale insbesondere bei Vergütung, sozialer Absicherung und auch in Fragen der Mitbestimmung führt.“ In der Metallbranche arbeiten derzeit unter anderem Airbus, BMW und VW mit externen Plattformen zusammen. Der Autobauer Daimler hat angekündigt, einen Teil seiner Beschäftigten aus den bisherigen Arbeitsstrukturen zu lösen und sie der Crowdwork ähnlich als Schwarm organisiert an Themen wie autonomes Fahren, E-Mobilität und Digitalisierung arbeiten zu lassen.

 

Eine zentrale Frage ist, ob Crowdworker und andere Beschäftigte in der Plattformökonomie tatsächlich selbstständig und die Plattformen wirklich nur Vermittler sind - oder ob nicht doch eine Art Verhältnis von Arbeitnehmer und Arbeitgeber besteht. Denn vieles, was hierzulande als Merkmale selbständiger Arbeit gilt, fehlt: Man kann die Preise nicht selbst aushandeln, die Arbeitsleistung wird über Algorithmen überwacht und man gerät unfreiwillig in ein internes Bewertungssystem. „Im Ranking bin ich ziemlich weit vorne“ sagt Jana Gollmer durchaus mit etwas Stolz in der Stimme. „Aber wie sich das auf die Aufträge und die Bezahlung auswirkt, da bin ich nicht sicher. Je nach Test und  Bedeutung des Bug bekomme ich zwischen zwei und zehn Euro“ erläutert sie. Insgesamt verdient sie pro Monat circa 400 Euro mit ihrer Arbeit auf Plattformen. Davon kann sie die Miete ihrer kleinen Wohnung in einer norddeutschen Stadt bezahlen – mehr nicht.

 

Im Juni stellte das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht eine Studie vor, in der die Arbeitsbedingungen und Rechtsgrundlagen von Crowdworkern in Deutschland, den USA und in Japan untersucht wurden. Notwendig sei, so die Forscher, bestehendes Recht konsequent umzusetzen und auch, das Recht weiterzuentwickeln. Aber wer könnte das machen? Gewerkschaften, die klassische Interessenorganisation für Entlohnung und soziale Rechte, haben in der Plattformökonomie einen extrem schweren Stand. Gewerkschaftliche Organisation basiert noch immer auf sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen in einem Unternehmen und dem Ort, wo dieses seinen Sitz hat. Mit der Digitalisierung aber lösen sich diese Definitionen und Grenzen auf. Persönlicher Kontakt zwischen Menschen über ihre Arbeit besteht oft nur noch für kurze Zeit oder gar nicht mehr. Vor allem aber: Weil Plattformen als reine Vermittler agieren und rechtlich nicht als Betrieb eingestuft werden, gelten hier nur die  Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Betreibers. Gewerkschaften haben deshalb bei Plattformen bislang kein Rechte, auf deren Grundlage sie sich einmischen und Forderungen stellen könnten.

 

Kein Platz für Gewerkschaften

Immerhin: Mit faircrowdwork.org baute die IG Metall eine Webseite auf, wo Crowdworker sich informieren und Plattformen bewerten können nach Fairness bei der Aufgabenstellung, Bezahlung oder der Kommunikation mit den Auftraggebern. Dazu Gewerkschafterin Benner: „Unsere Hoffnung ist, dass sich jene Plattformen durchsetzen, die besonders gute Arbeitsbedingungen bieten.“  Vollmundig nennt sie diese ersten Versuche gewerkschaftlichen Engagements in der  Plattformökonomie  „Transparenzoffensive“.  Mit einigen kooperationswilligen Betreibern hat die Gewerkschaft einen „Code of Conduct“, einen Verhaltenskodex entwickelt. Dabei geht es darum, Minimalstandards durchzusetzen, zum Beispiel Offerten mit Dumping-Löhnen auszuschließen.

 

Die Politik ist gefragt, wenn die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt nicht mit harten sozialen Brüchen und Unfreiheit einhergehen soll. Aber ihrer Aufgabe die Industrie 4.0, die vierte industrielle Revolution, politisch so zu gestalten, dass die menschlichen Grundbedürfnisse durch Arbeit weiterhin gesichert werden können, kommt sie nicht nach. Beim Stichwort „Digitalisierung“ sprechen Politikerinnen und Politikern bevorzugt über Pläne zum „flächendeckenden Ausbau des Breitbandes“. Auch das Weißbuch Arbeiten 4.0, das vom SPD-geführten Ministerium für Arbeit und Soziales der letzten Bundesregierung erstellt wurde, hat da kaum etwas zu zu bieten. Dringend notwendige Vorschläge, welche Regeln für die Sozialversicherungen zu schaffen wären, damit alle abgesichert sind, auch die kleinen Solo-Selbständigen und Schein-Selbständigen, sucht man hier vergebens. Auch zum Schutz der persönlichen Daten, die auf Plattformen und in allen Bereichen der digitalisierten Produktionsprozesse in großer Menge anfallen, findet man keine Aussagen.

 

Seit geraumer Zeit steigen die Kapitalrenditen stärker als die Löhne. Wie kann man diejenigen, die den Produktivitätsfortschritt erarbeitet haben, angemessen an den Gewinnen beteiligen? Sicherlich mit höheren Löhnen und Honoraren und mehr freier Zeit. Aber dafür müssen Jana Gollmer und die große Schar Crowdworker wohl selbst eintreten. So könnte vielleicht die Freiheit und Kreativität entstehen, die im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Arbeitswelt oft beschworen wird. In Wien wurde vor einem knappen Jahr der weltweit erste Betriebsrat für eine App und Plattform gegründet. Fahrerinnen und Fahrer des Zustellers foodora schafften das in Zusammenarbeit mit der Dienstleistungsgewerkschaft VIDA. Ein Schritt in die richtige Richtung und eine Ermutigung - immerhin.

 

Der Freitag Nr. 4                    25. Januar 2018