Der Internet-Lotse

Geht es um Computer und Smartphones, ist Simon Levien Experte und Helfer. In anderen Lebensbereichen braucht er selbst Assistenz.

Simon Levien
Simon Levien

Angespannt starrt eine drahtige Frau in Joggingschuhen auf ihren Laptop. Gelassen wie ein Berg sitzt ihr schräg gegenüber Simon Levien. Sie sucht Hilfe für ihre Probleme mit dem Internet. „Ich möchte mich diesem Lauftreff anschließen“ sagt sie und zeigt auf die Menschen in Laufkleidung auf dem Bildschirm. „Als Kontakt ist nur Facebook angegeben. Aber mein Facebook-Account wurde gesperrt, wahrscheinlich weil ich einen Fantasienamen angegeben hatte.“ Sie hebt den Kopf und schaut Simon Levien an: „Was mache ich jetzt?“

 

Simon Levien sitzt im PIKSL Labor am Domhof, im Zentrum von Osnabrück, einer Einrichtung der Heilpädagogischen Hilfe (HHO). Der Name erinnert an Pixel, die kleinsten Punkte, aus denen digitale Bilder zusammengesetzt sind. Simon Levien ist ehrenamtlicher Mitarbeiter im PIKSL Labor und hält hier Sprechstunde. Er kennt sich bestens aus in der weiten Welt des Internet, mit Handys und Laptops und wie man sie anwendet. Alles hat er sich selbst beigebracht. Aber er ist freigebig und gibt sein Wissen gerne weiter. Immer freitagnachmittags, wenn er Beratungsstunde hält, kann jedermann kommen, ob mit oder ohne Behinderung, ob mit oder ohne Anmeldung.

 

 „Ich tu mich schwer, auf Leute zuzugehen“, sagt Simon Levien über sich selbst, leise, geradeheraus. Kurz schweift sein Blick über die weißen Tische mit Bildschirmen. „Das hier macht mir viel Spaß.“ Das hier ist seine Arbeit im PIKSL Labor, mit den Menschen, die ihn ansprechen und die ihm zuhören, weil er ihnen Wichtiges zu sagen hat. Simon Levien ist auch Kunde bei der Heilpädagogischen Hilfe Osnabrück. Er bekommt ambulante Assistenz. Eine Frau und ein Mann unterstützen ihn stundenweise bei Terminen, Arztbesuchen, Briefverkehr und auch etwas in seinem Haushalt, den er sonst eigenständig führt. Seine Assistenten sahen, wie viel Zeit er an Computer, Tablet und Spielekonsolen verbringt. Aber sie erkannten auch, wie souverän er dort knifflige Probleme löst und wie viel Geduld er hat. So entstand die Idee, er könnte als Experte im PIKSL-Labor mitarbeiten. Seit zwei Jahren ist er mittlerweile dabei.

 

„Für eine Anmeldung bei Facebook müssen Sie Ihren Vor- und Zunamen und ihr Geburtsdatum angeben. Manchmal wollen die das auch kontrollieren über den Personalausweis“, erklärt Simon Levien ruhig. Die Sportliche, die zum Lauftreff will, wird rappelig. Soll sie ihre persönlichen Daten an den US-Konzern geben? Auch Simon Levien ist da zurückhaltend. Jetzt deutet er mit seinem Zeigefinger auf eine Leiste am linken Rand der Webseite. Dort stehen klein die Kontaktdaten des Sportgeschäfts, das den Lauftreff organisiert. „Wenn Sie da anrufen und fragen, können Sie zu diesem Lauftreff am nächsten Montagabend einfach hingehen, wenn ich das richtig verstehe.“ Simon Levien bewegt sich entspannt und erfahren im Netz, so findet er Lösungen.

 

Behinderung wird im PIKSL-Labor nicht als Hindernis gesehen. Menschen mit Behinderung hätten Erfahrung damit, Barrieren zu überwinden, so die Heilpädagogische Hilfe. Diese Erfahrung könnten sie nutzen. Simon Levien ist überzeugendes Beispiel: Als Mensch mit Behinderung hilft er anderen Menschen, ob mit oder ohne Behinderung. „Er ist unser Kollege, wir sind auf Augenhöhe“, sagt Michael Niemann, einer der beiden Leiter des PIKSL Labors. „Er ist absolut ebenbürtig, bei dem Wissen, das er mitbringt."

 

Ein alter Mann kommt durch die Ladentür, geht schnurstracks in den mit Polsterbänken einladend gestalteten hinteren Teil des Raums. Zum dritten Mal kommt er schon. Auf seinem alten ThinkPad hat er die Freeware eines Office-Pakets installiert, aber diese hat ihre Tücken, weil wenig kompatibel. Er zieht einen Zettel aus der Tasche, säuberlich notiert stehen da zehn Fragen. Geduldig zeigt ihm Simon Levien, wie die Befehle funktionieren, die er ausführen möchte. Der alte Herr lächelt mit seinem Faltengesicht und schreibt die Antworten akkurat auf seinen Zettel. Nach einer halben Stunde steht er auf, bedankt sich mehrfach, geht fröhlich hinaus. Simon Levien schaut ihm nach. Das PIKSL Labor, die Menschen, die Rat suchen und er – hier gewinnen alle.

Publik Forum Nr. 2    26. Januar 2024