Das Prinzip Stille

Leben nach einem festen Rhythmus - Ein Tag bei den Benediktinerinnen vom Heiligsten Sakrament in Osnabrück

 Draußen ist es noch dunkel. Aber im Kloster der Benediktinerinnen vom Heiligsten Sakrament in Osnabrück brennen frühmorgens kurz vor sechs Uhr schon hell die Lichter. Zehn Nonnen stehen aufrecht im Chorgestühl ihrer hoch gebauten, schlichten Kirche. „Herr, öffne unsere Lippen“ bitten sie in den Laudes, ihrem ersten Stundengebet. Noch mehr als drei Stunden werden sie heute damit verbringen,  gemeinsam zu singen, zu beten und Fürbitte zu halten. Eine Sehnsucht nach Gott, Freude am liturgischen und persönlichen Gebet und die Bereitschaft, für eine Klostergemeinschaft auf Lebenszeit auf viele Annehmlichkeiten zu verzichten, hat sie dazu  gebracht, Nonne zu werden. 

 

Nahe der Altstadt, dicht am lauten Innenstadtring und nahe der vielbefahrenen Bahnstrecke Berlin - Amsterdam liegt auf einem weitläufigen Grundstück das 120 Jahre alte Klostergebäude. 16 Schwestern im Alter zwischen 27 und 91 Jahren leben hier. Zwei von ihnen tragen noch den weißen Schleier der Novizin. Andere wurden im Laufe der Zeit gebrechlich und brauchen nun Unterstützung und Pflege. Es sind die Schwestern der mittleren Generation, die tatkräftig und selbstbewusst das Kloster tragen. „Wir haben eine gemeinsame Struktur durch Gebete und gemeinsame Mahlzeiten “ sagt Priorin Schwester Eva-Maria. Eine der wichtigsten Aufgaben der 49-Jährige ist, sowohl die Gemeinschaft der Nonnen als auch die individuelle Persönlichkeit jeder der Frauen im Blick zu haben.

 

Das erste Stundengebet ist gerade vorüber, da beginnt um sieben Uhr die Messe. Mit Priestern, die vom nahe gelegenen Osnabrücker Dom kommen, feiern die Nonnen jeden Morgen die Eucharistie. 14 Nonnen sitzen sich im Chorgestühl gegenüber. Zwei Rollatoren parken vor den Kirchenbänken. Glockenhell und klar klingen ihre hohen Frauenstimmen. So zu stehen und zu singen am frühen Morgen, mit Gefühl für Rhythmus, Stimme und Worte, erfordert volle Gegenwärtigkeit. Mit erhobenen Armen und geöffneten Händen singen sie das Vaterunser. Eine kraftvolle Gebetsgebärde, aufrecht und empfangsbereit. Zum Friedensgruß verneigen sich die Frauen voreinander, erweisen sich so Wertschätzung und Respekt.

 

 „Wir bitten: Berufe auch heute Menschen in deine besondere Nachfolge. Christus erhöre uns!“  Bei den Fürbitten tritt stellvertretend für den gesamten Konvent eine Schwester ans Mikrofon und spricht die Anliegen aus. Dieses Anliegen ist existenziell, denn viele Klöster müssen schließen, weil kein Nachwuchs kommt. Weitere  Fürbitten werden ausgesprochen  für Papst Franziskus und die katholische Kirche, für Gesellschaft und Politik. „Für einen klugen Umgang mit den Wahlergebnissen der letzten Zeit. Damit Rechtsextremismus und Intoleranz sich nicht breit machen in unserem Land.“

 

Die Nonnen haben schon mehr als zwei Stunden gebetet und in der Küche oder bei den Kranken ihren Dienst getan, da gibt es kurz vor acht Uhr Frühstück. Kaffee und Tee, Brötchen und Käse, Wurst, Marmelade, Müsli und Joghurt stehen auf zwei Tischen an einer Wand des großen Speisesaals. Die Frauen nehmen sich von diesem Buffet, essen schweigend und schnell. Dieses Frühstück wirkt nicht wie eine entspannende Pause sondern so, als diente es vor allem der Aufnahme von Energie für die nächsten Aufgaben dieses Tages.

 

Draußen ging die Sonne mittlerweile auf, aber das merkt man hier kaum. Die Fenster mit farbigen Ornamenten und Strukturglas lassen nur wenig Licht herein und verhindern Blicke nach draußen.  Als Benediktinerinnen vom Heiligsten Sakrament leben die Frauen als kontemplative Gemeinschaft. Von der Französin Mechthilde de Bar in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges gegründet, stehen bei diesem Orden Gebet und Fürbitte, die Feier von Liturgie und Eucharistie im Mittelpunkt. Die  1.500 Jahre alte Regel des Benediktinerordens füllen die Frauen mit einem Leben, das sich weitgehend in den Klostermauern abspielt.

 

Es lärmt und dampft im Souterrain. Die beiden Novizinnen Lucia und Josefine, 27 und 32 Jahre alt, arbeiten an diesem Morgen in der Hostienbäckerei. Über Schläuche läuft eine helle Mischung aus Mehl und Wasser auf heiße Eisen, auf denen der flüssige Brei backt. Die Maschine ist ein System aus kreisförmig montierten, gleichmäßig rotierenden Backeisen. Die beiden jungen Frauen entnehmen daraus die noch knusprigen frischen Hostienplatten, entfernen überstehende Teigreste und hängen das fertige Produkt in Ständer. Morgen, nach einem Tag in einem extra Raum zur Befeuchtung, werden sie daraus viele kleine Hostien stanzen. „Am Anfang arbeitet man oft in der Hostienbäckerei, denn hier ist man schnell eingearbeitet“ erklärt Novizin Josefine, die seit zwei Jahren im Osnabrücker Kloster lebt. 4,5 Millionen Hostien werden hier jedes Jahr gebacken. Für das Kloster die wichtigste Einnahmequelle. Wie alle benediktinischen Ordensgemeinschaften will man wirtschaftlich möglichst selbständig sein. Aber für eine Ordensgemeinschaft mitten in der Stadt, ohne großzügige Schenkungen an Ländereien oder Forst, ist das eine große Herausforderung. 14 Euro kostet ein Beutel mit tausend Hostien. Sie werden deutschlandweit, innerhalb Europas und in weit entfernte Missionsgebiete versendet.

 

„Ein Leben in Klausur, den ganzen Tag im Klostergebäude und wenn ich frische Luft will immer nur in den Garten gehen – nee, das konnte ich mir nicht vorstellen!“, bekennt Novizin Josefine lachend. Nach dem Mittagsgebet um halb zwölf, dem Mittagstisch und einer Zeit, in der sie sich zum persönlichen Gebet zurückzieht, erzählt sie, wie sie Nonne wurde. Zwei ihrer Großtanten waren Ordensfrauen, sie kommt aus einer traditionell katholischen Familie. Zunächst arbeitete sie als Krankenpflegerin auf einer Intensivstation in Münster. „Als ich 18 Jahre war, habe ich angefangen, mich ernsthaft zu fragen: Was will ich machen?“  Sie nahm Kontakt zu verschiedenen Ordensgemeinschaften auf. Als sie im Jahr 2016 die Kar- und Ostertage bei den Osnabrücker Benediktinerinnen verbrachte, geschah es. „Mir wurde klar: Da will ich eintreten!“

 

Aber dies war nur ein erster Schritt auf ihrem Weg zur Nonne. „Schwester Eva-Maria, wir müssen über Sex reden!“ So forderte sie eines Tages ihre Priorin heraus. Die junge Frau, die heute unter ihrem Habit Haar, Hals und alle weiblichen Formen verbirgt, ist sich ihrer Weiblichkeit durchaus bewusst. Bei ihrer Priorin fand die junge Frau mit ihrer Forderung offene Ohren und die Bereitschaft zum Gespräch. „Es geht um die Bedürfnisse, die wir mit Sexualität befriedigen“, sagt Schwester Josefine im Gespräch dazu. „Sexuelle Bedürfnisse sind Energien. Diese Energien wahrnehmen und sie nicht wegdiskutieren, nicht wegsperren.“ Schwester Josefine intensiviert deshalb ihre Beziehungen zu anderen Menschen und geht ins kreativ-künstlerische Tun, zum Beispiel in der kleinen Kerzenwerkstatt des Klosters.

 

Priorin Eva-Maria ist seit dreißig Jahren Nonne und leitet den Konvent seit drei Jahren. „Wir sind sehr verschieden. Wenn ich meine eigenen Grenzen kenne, hilft mir das, diese bei den anderen zu akzeptieren“, sagt sie mit Blick auf die Lebensgemeinschaft der Frauen im Kloster. Wichtig sei, „miteinander zu sprechen und dass man sich gesehen fühlt.“ Die Osnabrücker Benediktinerinnen gelten heute als tolerante Gemeinschaft. „Ich habe noch die alte Strenge erlebt“ sagt Schwester Angelica, die vor knapp sechzig Jahren in dieses Kloster eintrat. „Da wurde noch die Schweigsamkeit betont. Man durfte nicht zu zweit miteinander sprechen, es musste immer eine dritte Person dabei sein.“ Aber als fast 30 Jahre lang keine einzige neue Frau eintrat, aber 33 Nonnen in diesem Zeitraum starben, war klar: sich schnell ändern oder untergehen.

 

Nach dem Abendessen treffen sich die Nonnen zur Rekreation. und tauschen sich aus über Erlebnisse ihres langen Tages. Außerdem führt die Priorin häufig Zweiergespräche und die beiden Novizinnen werden dabei unterstützt, sich auch mit Belastungen aus ihrer Lebensgeschichte auseinanderzusetzen. Nicht Kontrolle sondern Vertrauen soll das Klosterleben prägen. Dazu gehört auch: Jede Schwester, die das möchte, erhält zusätzlich zur Zelle, in der sie schläft, eine weitere für die Arbeit mit Computer und Internet-Anschluss. „Salve Regina, mater misericordiae“ singen die Nonnen schließlich bei ihrem letzten Stundengebet kurz vor halb acht Uhr. Beim Hymnus an die Muttergottes wenden sie sich einer Marienstatue in ihrer Kirche zu, lobsingen noch einmal mit ihren klaren Stimmen. Sie beten für Vergebung, bitten um Schutz und Frieden.

Publik Forum Nr. 18                                   25. September 2020