Nur fünf Besucher bis zum Lebensende

Abstand und Maske erschweren eine menschenwürdige Sterbebegleitung: Wie Hospize und ehrenamtliche Sterbegleiter der Corona-Pandemie dennoch trotzen und Kontakt halten, selbst wenn Besuche unmöglich sind

Ein zugewandtes Lächeln und eine Berührungen, die Mitgefühl ausdrückt – danach sehnen sich kranke und sterbende Menschen besonders. Frauen und Männer, die in ambulanten Hospizdiensten und in stationären Hospizen tätig sind, wollen genau dies tun. Kein Mensch soll allein gelassen werden, kein Mensch alleine sterben. Doch wegen Corona gibt es seit einem Jahr strenge Kontaktbeschränkungen. In Heimen und Hospizen sind nur wenige Besuche erlaubt und diese nur mit Abstand und nur mit Maske, die das Gesicht zur Hälfte verbirgt und Sprechen und Verstehen mühsam macht. Ist Hospizhilfe in der Corona-Zeit überhaupt möglich?

 

Das ist sie, aber mit »wirklich großen Einschränkungen«, wie Manuela Brandt-Durlach, die Leiterin des Göttinger Hospiz an der Lutter sagt. Sie musste Regeln für ihr Hospiz erlassen, die dessen offenen, gastfreundlichen Geist zu widersprechen scheinen. Aber unverzichtbar sind. Wer eines der zehn Zimmer des Hospizes bezieht, hat meistens nur noch wenige Tage oder Wochen zu leben. Und muss am Tag des Einzugs festlegen, welche Personen im Hospiz zu Besuch kommen dürfen – höchstens fünf. Und niemals mehr als zwei gleichzeitig. »Viele Menschen haben am Lebensende das Bedürfnis nach Begegnung«, weiß die langjährige Hospizleiterin. Besonders hart treffe diese Beschränkung Patienten im mittleren Alter. Viele dieser Sterbenden hätten nicht nur Kinder und Ehepartner, sondern auch alte Eltern und Schwiegereltern, Kollegen, Freundinnen und Freunde. Ein persönlicher Abschied von vielen dieser Verwandten und Freunden sei unter Corona-Bedingungen nicht mehr möglich.

 

Ein lebenswertes, in menschliche Gemeinschaft eingebettetes Leben bis zuletzt zu ermöglichen – das ist ein Leitmotiv der Hospiz-Bewegung. Das Miteinander von Patienten, Angehörigen, Ehrenamtlichen und Pflegekräften wird als positiv angesehen und gefördert. Zum Beispiel bei gemeinsamen Mahlzeiten oder Kaffee und Kuchen – bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie. »Gespräche und Begegnung am Tisch haben wir jetzt nicht mehr«, bedauert Leiterin Brandt-Durlach mit einem Seufzen. Jetzt sitzen die Patienten alleine am Tisch im hellen, in warmem Holztönen und dunkelroten Polstern eingerichteten Wohn- und Esszimmer. Nur wenige Pflegekräfte mit Mund-Nasen-Schutz sind bei ihnen und reichen das Essen.

 

Harfenkonzert im Garten

Zeichen von Verbundenheit und Hilfe gibt es weiter – aber anders: Bis in den frühen Herbst hinein gaben Kirchenchöre, eine Jazz-Band und ein Harfenspieler im Garten Konzerte. »Das bringt Leben zu uns ins Haus« sagt die Leiterin. Seit Beginn der kalten Jahreszeit wurden schon öfter Kuchen gespendet oder auch mal eine XXL-Pizza für alle.

 

Abstand halten müssen auch die Frauen und Männer, die beim ambulanten Hospizdienst in Göttingen tätig sind – ehrenamtlich. Sie gehen auch in Corona-Zeiten in Krankenhäuser, Pflegeheime oder in die Wohnungen und begleiten dort Schwerkranke und Sterbende. »Normal ist jetzt die Begegnung mit Maske und ohne Körperkontakt«, sagt Manja Schondorf-Denecke, hauptberufliche Koordinatorin des ambulanten Hospizdienstes. »Aber Berührung ist etwas ganz Wesentliches für viele Menschen.« Besonders schwierig sei der Kontakt zu Menschen mit Demenz oder zu Schwerhörigen. »Empathische Worte müssen wir auch mal brüllen. Manchmal lachen wir in solchen Situationen, nehmen´s mit Humor«, sagt die vierzig Jahre alte Fachkraft für Palliativmedizin. Es ist eine Herausforderung, menschliche Nähe auf Abstand zu ermöglichen.

 

Niemand soll alleine sterben

Besonders hart sind Schwerkranke und Sterbende in Krankenhäusern von den Corona-Kontaktbeschränkungen betroffen. Die Klinikleitungen und -betreiber entscheiden, wie sie die Corona-Vorschriften umsetzen. Manche Patienten dürfen nur noch einen, zwei oder auch gar keine Besucher empfangen. Anders noch als zu Beginn der Pandemie im Frühjahr sind sich aber nun alle Verantwortlichen einig, dass kein Mensch alleine sterben soll. »Menschen, die palliativ-medizinisch behandelt werden, dürfen besucht werden«, stellt die Koordinatorin der Ehrenamtlichen fest. Doch nicht nur auf Palliativstationen, auch auf anderen Stationen der Krankenhäuser sterben Menschen. Mit Nachdruck setzt sie sich dafür ein, dass die Ehrenamtlichen des Hospizdienstes zu allen Krankenhausstationen Zugang erhalten, wenn sie dort gebraucht werden.

 

Doch nicht nur das Virus ist gefährlich für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen – auch die Einsamkeit ist es. Selbst dort, wo Besuche mit Maske und Abstand möglich sind, bleiben sie aus. Beispielsweise, weil Besucher aus Krankheitsgründen oder Sorgen vor einer möglichen Ansteckung fernbleiben. So war es bei einem 71 Jahre alten Mann, der in einem Pflegeheim in Springe lebt. Die Heimleitung wandt sich an den Hospizverein der Stadt und fragte an, ob trotz Corona ein Besuchsdienst eingerichtet werden könnte. Jens Laugesen, Vorsitzender des Hospizvereins, sagte zu und trifft sich seitdem regelmäßig mit dem 71-Jährigen. Eine Ausnahme? Einmal pro Woche kommt er zu dem Mann im Rollstuhl, der außer einer Schwester, die selbst krank und nicht belastbar ist, keine Verwandten oder Freunde hat. Das Pflegeheim betrete er nur mit Mund-Nasen-Schutz, sagt Jens Laugesen, der sich seit zehn Jahren in der Hospizarbeit engagiert. In Absprache mit dem 71-Jährigen und bei offenem Fenster aber lege er die Maske im Zimmer ab. »Das Heim funkt da nicht rein.« Aber das gelte nur für diese Heimleitung, nicht allgemein, betont er. Er selber habe keine Angst vor Ansteckung, sagt Jens Laugesen. Verallgemeinern lässt sich diese Haltung nicht.

 

Andere Ehrenamtliche im Hospizdienst sehen sich wegen Corona außerstande, derzeit Besuchsdienste wahrzunehmen. Sie sind alt, haben Krankheiten oder leben mit Angehörigen zusammen, die zur Risikogruppe gehören. Im Ambulanten Hospizdienst in Göttingen lässt deshalb etwa die Hälfte der 120 Ehrenamtlichen ihren Dienst derzeit ruhen. Das könnte sich ändern, wenn im Lauf des Jahres mehr und mehr Hospizhelfer geimpft sind oder wenn bald einfach handhabbare wie auch und zuverlässige Covid-19-Schnelltests zur Verfügung stehen.

 

Aber auch wenn Ehrenamtliche auf Besuche verzichtet, so versuchen viele doch, in Kontakt mit den Menschen zu bleiben, die sie schon vor Corona begleitet haben. »Sie schreiben Postkarten oder Briefe, geben an der Pforte des Heims kleine Aufmerksamkeiten ab, Blumen oder etwas zum Naschen«, berichtet Katrin Moormeister, die im Hospizverein Springe als Koordinatorin arbeitet. Auch Ohrenschmaus ist möglich: »Eine alte Dame bekommt jeden Morgen einen Telefonanruf, dann liest ihr ihre Begleiterin ein Gedicht vor«, berichtet Moormeister.

 

Hospizdienste begleiten nicht nur Schwerkranke und Sterbende. Zu ihren Aufgaben gehört auch, Angehörige dabei zu unterstützen, Abschied und Trauer zu bewältigen und gut zurück zu finden ins Leben. Seit Beginn der Corona-Pandemie rufen vermehrt Angehörige an. »Die Abschiedserfahrungen sind dramatischer«, stellt Hospizdienst-Koordinatorin Manja Schondorf-Denecke aus Göttingen fest. Angehörigen hätten oft den Eindruck, dass die Besuchsbeschränkungen zu einer rasanten Verschlechterung des Zustands ihrer kranken Familienmitglieder führten. Besonders belastend sei dies bei Menschen mit Demenz, die ihre Angehörigen unter der Maske nicht wiedererkennen und tief verwirrt und verstört reagieren. Trauercafés und andere Gruppen, in denen sich Angehörige treffen, austauschen und Hilfe finden konnten, mussten die Hospizdienste bundesweit einstellen. Meistens sind Trauernden selbst alte Menschen, deren Gesundheit zu schützen jetzt oberstes Gebot ist.

 

Kaum mehr Spenden für Hospize

Trauer ist ein Thema, das durch die Corona-Pandemie größer wird.Doch nicht nur die Kontaktbeschränkungen wirken sich aus: auch wirtschaftlich sind Hospizdienste von der Corona-Pandemie stark betroffen. »Unsere Spenden sind um zwei Drittel eingebrochen«, sagt der Springer Vereinsvorsitzende Jens Laugesen. In Fußgängerzonen oder auf Märkten stehen und dort mit der Spendenbüchse klappern oder auf Basaren Selbstgemachtes verkaufen – all das geht schon lange nicht mehr. Größere Trauerfeierlichkeiten, bei denen um Spenden für die Hospizarbeit gebeten wurde, sind untersagt, Begräbnisse finden nur noch in kleinem Kreis statt.

 

Alle Hospizdienste sind zusätzlich zur Finanzierung durch die Krankenkassen auf Spenden angewiesen. Das Göttinger Hospiz etwa benötigt im Jahr 250 000 Euro. Auch wenn ungewiss ist, woher die Spenden für Hospize und Hospizdienst kommen, eines steht außer Zweifel:  „Unser Credo lautet: Wir begleiten“ sagt Jens Laugesen. Er bekräftigt damit, dass sein Verein und die gesamte Hospizbewegung gerade auch in schwierigen Zeiten für die Menschen da sein möchte.

 

Publik Forum Nr. 3                         12. Februar 2021