Stadtbäume sind grüne Inseln in einem Meer aus Asphalt, Beton und Glas. Meist stehen sie eingezwängt zwischen
Häusern und Straßen, zwischen Gehwegen und Autos. Sie spenden Schatten und Kühle im Sommer, produzieren lebenswichtigen Sauerstoff, filtern Schadstoffe aus der Luft. Sie sind Lebensraum für Vögel und Insekten. Viel tragen sie zum Wohlbefinden der Menschen bei. Stadtbäume sind unverzichtbar für das Stadtklima. Aber das Grün am Straßenrand ist gefährdet. Zum ohnehin harten Standort kommen nun die Folgen der Erderhitzung und das heißt: Stadtbäume leiden unter langen Phasen der Trockenheit, heftigen Stürmen und neuen Schädlingen. Was also muss geschehen, damit sie überleben?
Eine Antwort kennt Thomas Maag. Wenn der verantwortliche Leiter für das Stadtgrün im niedersächsischen Osnabrück aus dem Fenster seines Büros blickt, schaut er auf eine Robinie am Straßenrand. Auf den ersten Blick wirkt der schlanke Baum sommerlich grün. Doch der geschulte Blick von Thomas Maag richtet sich auf die Krone des Baumes. Hier zeigt die Robinie deutliche Lücken. Viele Äste, auch große, sind kahl und tot. »Robinien bilden flache
Wurzeln aus, so wie auch Buchen und Birken. Diese Bäume leiden als erste unter der Trockenheit«, sagt der 60-Jährige. Die beiden letzten Sommer waren extrem heiß und auch dieses Frühjahr war viel zu trocken. »Da zeigen sich jetzt die Schäden«.
Zwar hat es in diesem Sommer zunächst wieder geregnet im Norden Deutschlands, aber im August gab es Hitze und Trockenheit. »Grundlegendes hat sich nicht verbessert«, erklärt Maag. Denn der Regen zu Sommerbeginn durchfeuchtet die Erde nur etwa einen halben Meter tief. Für die Landwirtschaft reicht dies. Aber große Bäume versorgen sich vom Grundwasser her mit Hilfe des Kapillareffekts. Weil die Grundwasserspiegel sinken, erreichen viele Bäume ihr Wasser nicht mehr.
Kastanien besonders bedroht
Den Fachkräften des Osnabrücker Gartenbauamts bereiten ihre Bäume große Sorgen. Da sind zum Beispiel die Kastanien. Vor kurzem mussten in einem Straßenzug der 170 000-Einwohner-Stadt alle Kastanien gefällt werden. Viele Jahre erfreuten sich die Anwohner am üppigen Blattwerk im Sommer und den glänzend braunen Früchten im Herbst. Aber damit ist jetzt Schluss. Wie auch andere vertraute Baumarten, zum Beispiel Esche und Eiche, wird die Kastanie in absehbarer Zeit aus dem Stadtbild verschwinden. Bei den Kastanien vertrocknen bereits im Spätsommer die Blätter. Sie werden braun und fallen ab. Die Raupen der Miniermotte, eines sehr kleinen Schmetterlings, saugen an ihnen. »Die Miniermotte gibt es schon lange«, sagt Thomas Maag. »Sie schädigt die Blattmasse und damit den Stoffwechsel, aber sie bringt die Kastanie nicht um.«
Doch zu den alten Schädlinge gesellen sich neue, zum Beispiel das Bakterium Pseudomonas. Auf der Rinde zeigen sich schwärzlich schmierige Flecken, ganze Astpartien sterben ab. Pilze geben dem geschwächten Baum dann den Rest. Milde Winter ohne Dauerfrost und insgesamt steigenden Temperaturen führen dazu, dass Insekten, Bakterien und Pilze aus anderen Regionen einwandern und sich ausbreiten. Irgendwann ist die Stand- und Verkehrssicherheit
der Kastanien nicht mehr gewährleistet. »Nach ein bis zwei Jahren ist der Baum tot«, sagt Thomas Maag und seufzt.
Junge Bäume stehen mittlerweile dort, wo die großen Kastanien gefällt werden mussten. Thomas Maag und sein Team haben entschieden, in dieser Straße Esskastanien zu pflanzen. »Das ist aber nur dem Namen nach eine Kastanie, botanisch ist das eine ganz anderer Baum«, erklärt der Baumexperte. Bei der Pflanzung im vergangenen
Herbst legte man Grundlagen für ein möglichst gutes Wachstum trotz schwieriger Standortbedingungen direkt an
der Straße. Wichtig ist eine große Pflanzgrube von mindestens zwölf Kubikmetern, gefüllt mit Erdsubstrat, das sowohl fein genug für die zarten Wurzeln als auch stabil gegen Verdichtung durch Straßendruck ist. Wenn möglich, wird bei Neupflanzungen mittlerweile auch die Baumscheibe größer als früher üblich angelegt. Aber oft ziehen
Bäume angesichts des knappen Straßenraums gegen Autos, Radler und Fußgänger den Kürzeren.
Junge Bäume hängen am Tropf
Nach der Pflanzung beginnt die Pflege. »Die ersten fünf Jahre hängen die Bäume am Tropf«, erläutert Thomas Maag. Gärtner fahren zwei- bis dreimal pro Woche zu den Jungbäumen, versorgen jeden Einzelnen mit jeweils mindestens hundert Litern Wasser. 150 junge Bäume werden jedes Jahr in Osnabrück neu gepflanzt. Über 500 Bäume, die jünger als fünf Jahre alt sind, erhalten diesen personal- und kostenintensiven Service. Zunehmend werden auch neue Baumarten gepflanzt. Sie sollen mit den veränderten Wetterverhältnissen besser zurecht kommen. Zu den neuen Arten gehört in Osnabrück die Gleditschie, sie verträgt Trockenheit besser. Wie diese allerdings auf andere Wetterextreme, insbesondere auf harten oder späten Frost reagieren, ist nicht klar. Nicht erforscht sind auch die
Folgen für die Tiere. Unklar, ob Bienen hier Nektar und Vögel Nahrung finden.
Doch nicht nur Schädlinge, auch die Finanznot vieler Kommunen gefährdet das Stadtgrün. »Die kommunalen Gartenämter müssen personell und finanziell gut ausgestattet werden«, fordert Christian Hönig, Referent für Baumschutz beim Umweltverband BUND. Doch viele Kommunen sparten bei ihren Gartenbauämtern. Die
Baumpflege wird stattdessen an private Anbieter vergeben, von denen stets der billigste den Zuschlag bekommt. Pflanzung und Pflege sind häufig von minderer Qualität, die Folgen fatal: Ob Bäume gedeihen bleibt dem Zufall überlassen, der Baumbestand der Stadt schrumpft. Hinzu kommt: »Nur die Gärtner vor Ort kennen die Bäume
und ihre Standorte«, weiß Hönig. An manchen Standorten werde ein Baum »von Beton- und Glasfassaden quasi gegrillt«, an anderen sei die Belastung durch Streusalz sehr hoch oder es sei aufgrund eines dichten Netzes von unterirdischen Leitungen kaum Wurzelraum vorhanden.
Doch so wichtig es ist, viele neue Bäume zu pflanzen, noch wichtige ist es die großen alten Bäume zu erhalten. »Alte Bäume sind besonders wertvoll«, betont BUND-Experte Christian Hönig. Das wissen auch die Anwohner. Viele leben in enger Beziehung mit den Bäumen in ihrer Straße. Deshalb sind sie auch bereit etwas für die Bäume zu tun. Wenn die Trockenheit so groß wird, dass die Bäume ihre Blätter einrollen und fallen lassen, schließen sie sich zusammen
in Gruppen und gießen. »Gemeinsam macht es einfach mehr Spaß«, weiß auch Christian Hönig aus Erfahrung.
In Berlin zum Beispiel wird das Engagement der Anwohner sogar mit digitaler Technik unterstützt. Auf der Plattform
Gieß den Kiez können sich diese über Bäume in der Nachbarschaft und deren Wasserbedarf informieren. Und sie können diese digital markieren, wenn sie gegossen haben. Die Empfehlung fürs Gießen lautet: Einmal wöchentlich und dann viel, am besten hundert Liter oder mehr.
Doch auch wenn die Anwohner mit Herz und Leidenschaft ihre Bäume gießen, dieses Engagement ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein . Ein Baum, der sonst eingehen würde, kann so vielleicht stabilisiert werden. Aber das grundlegende Problem der großen Trockenheit lässt sich so nicht lösen. Neben einer ernsthaften Klimapolitik,
mit der die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzt wird, gehört dazu auch ein besserer Umgang mit den Niederschlägen in der Stadt. Bislang werden die Bäume mit aufwändig und teuer zu Trinkwasser aufbereitetem Grundwasser gegossen. Das Regenwasser dagegen fließt in die Kanalisation – eine Verschwendung angesichts sinkender
Grundwasserstände. Eine Alternative ist die naturnahe Bewirtschaftung des Regenwassers. Versiegelte Flächen werden dafür geöffnet, zum Beispiel mit wasserdurchlässigen Belägen auf Zufahrten. Städtische Grünflächen werden vergrößert, auch mit Fassaden- und Dachbegrünung. Eine solche Entwicklung zur Schwammstadt trägt dazu bei, die Überschwemmung von Straßen und Kellern bei Starkregen zu vermeiden. Eine Schwammstadt nimmt das
Regenwasser auf und stellt es den Bäumen zur Verfügung. So können sie wachsen, große Kronen bilden, Schatten spenden, für Abkühlung sorgen, das Klima und das Wohlbefinden in der Stadt verbessern
Publik Forum Nr.
16
28. August 2020