Fasten mit Kopf und Herz: Die evangelische Fastenaktion „Du bist schön! 7 Wochen ohne Runtermachen“ ruft dazu auf, auf Nörgeleien und Perfektionismus zu verzichten und sich selbst und anderen mit mehr Offenheit, Bejahung und Wertschätzung zu begegnen. Eine Einladung zu mehr Achtsamkeit und Wachstum mitten im Alltag.
Sich aus dem alltäglichen Trott bringen und stattdessen frische Impulse wirken lassen – das machen jährlich mehr als drei Millionen Menschen mit „7 Wochen Ohne“. Dahinter verbirgt sich die Fastenaktion der evangelischen Kirche in Deutschland. In der Fastenzeit vor Ostern verzichten Menschen nicht nur auf Alkohol, Nikotin oder Schokolade, sondern folgen der Einladung zum Fasten auch mit Kopf und Herz. Die eingefahrenen Gewohnheiten einmal unterbrechen und wahrnehmen, was wichtig ist, was man wirklich braucht zum Leben. In diesem Jahr steht die Fastenzeit unter dem Motto: "Du bist schön! Sieben Wochen ohne Runtermachen“.
Was heißt es, auf „Runtermachen“ zu verzichten? Und wie kann ich „Du bist schön!“ wirklich fühlen und sagen? Ich verstehe „Sieben Wochen ohne Runtermachen“ als eine Einladung, im guten Sinne neugierig, offen und achtsam zu sein – zu sich selbst und gegenüber dem anderen. Achtsam sein ist das Gegenteil von Runtermachen. Wer achtsam ist, begegnet dem anderen und sich selbst mit Achtung und Wertschätzung. Übungen der Achtsamkeit helfen dabei, frei zu werden von altem Ballast – zum Beispiel davon, zu oft und schnell negativ zu bewerten und sich selbst oder den anderen runter zu machen. Achtsamkeit kann die Sinne für die Vielfalt und Schönheit des Lebens öffnen: Ja, Du bist in Deinem anders sein schön!
„Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet“ schrieb der Dichter Christian Morgenstern. Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Wie kann der Blick liebevoll werden und sich lösen von den gängigen Bewertungsmustern? Das Herz kann sich öffnen für die Schönheit jenseits der üblichen Normen. Ich sehe die Falten in meinem Gesicht und betrachte sie als eine Zeichnung, die das Leben mir gemacht hat. Ich halte inne, wenn ich mich mal wieder über den Kollegen aufrege und versuche zu erkennen, was ich selbst mit dem Konflikt zu tun habe. Ich übe Geduld, Ruhe und Gelassenheit.
Die Übung der Achtsamkeit hält mir auch den Spiegel vor, wenn ich während der Meditation abschweife und schon wieder in Gedanken mir selbst oder anderen Vorwürfe mache, weil dieses oder jenes hätte besser laufen können. Die Übung der Achtsamkeit holt mich freundlich und bestimmt zurück. Jeden Tag atmen, gehen, auf meinen Beinen stehen und versuchen, liebevoll zur Kenntnis zu nehmen, dass der andere anders ist, dass die Situation anders ist, als ich sie haben will. Dass auch ich selbst oft anders bin als ich eigentlich sein möchte. Niemand ist perfekt. Gott sei Dank, es wäre eine kühle und sehr glatte Welt.
Der Begriff Achtsamkeit ist heutzutage in fast allen Medien präsent und der Begriff wird inflationär verwendet. Psychologen, Mental-Trainer und Marketing-Fachleute haben eine Marktlücke entdeckt und preisen Achtsamkeit an wie ein Wundermittel. Für reichlich Geld kann man Seminare besuchen und Vorträge darüber hören „wie Achtsamkeit immer mehr den Weg ins Business findet“ und „wie Achtsamkeit Trainingserfolge verbessert.“ Therapeuten, die mit einem Buch erfolgreich sein wollen, suggerieren, dass Stress und Ängste nicht mehr belasten würden und das Leben viel leichter fiele, wenn man nur richtig die Achtsamkeit übt.
Der moderne Markt für Lebenssinn und Erfolg handelt raffiniert mit falschen Versprechungen. Aber Übungen der Achtsamkeit und Meditation dienen im Grund niemals der Selbstoptimierung, sie sind kein Mittel zur Perfektion, sondern eine Übung, ohne Bewertung zu akzeptieren, was ist. Meditation und Achtsamkeit sind in ihrem ursprünglichen, das heißt religiösen Sinn ein geistlicher Weg, um mit Gelassenheit die Wirklichkeit zu schauen und sich zu lösen von Vorstellungen, Idealen und Bildern, die wir uns fast automatisch machen. Meditation ist eine Haltung, in der ich mich selbst anschaue und mich anschauen lasse von Gott. Zur persönlichen Wirklichkeit, der man da begegnet, gehören manchmal auch strenge, schädliche innere Leitsätze, die in die Überforderung treiben, Stress und Ängste, das alles nicht zu schaffen. Das macht unruhig, der eine reagiert darauf eher aggressiv, der andere depressiv. Überforderung, oft verbunden mit narzisstischer Selbstüberhöhung, ist der ideale Nährboden fürs Runtermachen.
Achtsamkeit ist ein Weg, der Zeit, Geduld und Liebe braucht. In der Übung der Achtsamkeit schenke ich mir Zeit, Geduld und Liebe. Damit schaue ich auch das an, was ich als unzulänglich und schwierig erlebe. Vielleicht begrüße ich dann den Drang zum Besserwissen und zum Perfektionismus, Wut, Ängste und das Runtermachen schon bald wie alte Bekannte, die ich nicht eingeladen habe, die aber trotzdem immer wieder kommen. Wie kann ich klar machen, dass sie nicht mehr erwünscht sind in meinem Haus? Vielleicht indem ich andere fröhliche Gäste einlade: gute Gedanken, Neugier aufs Leben, Herzenswärme und Gelassenheit. Dann werden die ungebetenen Geister weniger Raum einnehmen, sich in eine hintere Ecke verkrümeln und vielleicht zuletzt ganz weg bleiben.
„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an“, steht in der Bibel, im Alten Testamen, 1. Samuel 16,7. Es wird erzählt, wie David als der jüngste und unscheinbare Sohn eines Hirten zum König von Israel gesalbt wird, obwohl seine starken und schönen Brüder sich äußerlich viel besser als Könige gemacht hätten. Aber die Wahl Gottes beruht nicht auf Äußerlichkeiten, sondern auf einem Blick in das Herz, in das Wesen des Menschen.
Die Menschen, die mir nahe sind und ich selbst – wir sind es wert, mit dem Herzen gesehen zu werden. Du bist schön! zu sagen – das kann Türen öffnen und fröhlich machen. Aufs Runtermachen zu verzichten - das ist ein echter Muntermacher, in der Fastenzeit und noch weit über Ostern hinaus.
Forum Loccum Nr. 1 März 2015