Still werden auf der Insel

Tina von Pentz sorgt dafür, dass auf Wangerooge an fast jedem Tag Meditation angeboten wird

Die Kirchturmglocke schlägt kurz einmal, es ist halb acht Uhr abends. Fünf Frauen und ein Mann sitzen im Halbrund auf blauen Meditationsmatten im Raum der Stille auf der Insel Wangerooge. Der große Raum, betont zurückhaltend geschmückt nur mit einem Bild des Malers Friedensreich Hundertwasser, lässt schon beim Eintreten den Eindruck von Ruhe und Weite entstehen. Von Westen leuchtet Abendsonne durch die bodentiefen Fenster im ersten Stock des modernen Gemeindehauses, erhellt das edle Holzparkett und die weißen Wände. In der Mitte der kleinen Runde sitzt Tina von Pentz. Mit zugewandtem Blick und warmer Stimme erklärt sie in wenigen Sätzen, wie man sich körperlich und seelisch einstellen kann auf die Meditation. Danach ist Schweigen.

 

Die Uhr der evangelischen St. Nikolaikirche am Dorfplatz schlägt acht Uhr, Tina von Pentz beendet die Meditation. Sie blickt in die Runde und fragt, wer heute beim Meditieren dabei war. Ob man sich kurz vorstellen wolle mit Vornamen und Ort, aus dem man kommt? Ortsnamen aus ganz Deutschland und aus der Schweiz fallen. Tina von Pentz, üppiger grauer Lockenkopf, braungebrannte Haut, engagiert sich seit über zwanzig Jahren dafür, dass Menschen, die auf der Nordseeinsel Urlaub oder eine Kur machen, auch spirituelle Angebote erhalten.

 

 „Einfach sein. Authentisch, verbunden und frei“, sagt die sportliche 72-jährige – das wolle sie vermitteln, auch selbst diese seelisch-geistige Haltung immer wieder üben mit den Menschen, die in den Raum der Stille kommen. Ganz überwiegend sind dies Touristinnen und Touristen, die für ein oder zwei Wochen in den Ferienwohnungen und Hotels auf der Insel wohnen. Auch die Einheimischen sind eingeladen, aber es gibt nur noch wenige Menschen, die auf Wangerooge ihren festen Wohnsitz haben. Sie arbeiten sie in der Gastronomie und haben kaum freie Zeit.

 

Tina von Pentz kennt die Insel und ihre Bewohner gut. Als Religionspädagogin unterrichtete sie bis zu ihrer Pensionierung die Kinder der Klassen 1 bis 10 auf der kleinen Inselschule. „Ich bin dort in eine große Weite gekommen“, erzählt sie. Wegweisend waren zwei Aufenthalte für jeweils zwei Wochen in der jesuitisch geprägten Gemeinschaft Ashram Jesu im Westerwald. Dort lernte Tina von Pentz Meditation kennen. „Als ich zurückkam, war mir klar: Das will ich üben. Am besten mit anderen Menschen“, erinnert sie sich. „Die Kirche sagt, es gibt eine Dimension der Tiefe. Diese Dimension zu finden ist mir Herzensangelegenheit.“

 

Heute ist der Raum der Stille das spirituelle Zentrum der evangelischen Gemeinde St. Nikolai auf Wangerooge. Tina von Pentz entwickelte ihn zu einem Ort der Begegnung für Menschen, die spirituelle Weite und Bodenständigkeit verbinden wollen. Seit vielen Jahren lädt sie zudem Frauen und Männer, die langjährige Erfahrung darin haben, Meditation und andere spirituelle Übungswege anzuleiten, auf die Insel ein. So kommt es, dass neben Meditation auch Qi Gong, Yoga, heilsames Singen, seelsorgerische Gespräche oder meditative Naturerfahrung im Programm stehen. Alle arbeiten ehrenamtlich.

Einziger Lohn der Meditationsleiter: Sie wohnen zwei Wochen lang unentgeltlich in einem einfachen Appartement im Gemeindehaus und haben genügend freie Zeit um Urlaub am Meer zu machen. Tina von Pentz koordiniert diese Einsätze und sorgt dafür, dass an fast jedem Abend des Jahres ein spirituelles Angebot stattfindet. Immer wieder wirbt sie neue Lehrende. Außerdem gestaltet sie Plakate und arbeitet mit dem Touristenbüro der Insel zusammen, so dass die Veranstaltungen im Programmheft und auf der Website erscheinen.

 

Demnächst aber möchte sie diese Aufgabe weitergeben, am liebsten an eine Person, die auf der Insel lebt und „der es wirklich am Herzen liegt, die Schätze der christlichen Tradition als Erfahrungsweg weiterzugeben.“ So wie sie selbst auf ihren Weg blickt.

 

Publik Forum Nr 20          20. Oktober 2023