Wo die Nacht noch dunkel ist

In Ballungsgebieten ist die Lichtverschmutzung groß. Insekten und Fledermäuse leiden darunter. Im Sternenpark Westhavelland hingegen kann man mit einem einfachen Fernglas den Andromeda-Nebel sehen.

 

Am nächtlichen Himmel ein Meer von Sternen zu sehen und dabei etwas von der Weite des Kosmos zu ahnen, das ist ein tief greifendes Erlebnis. Wer jedoch heutzutage nachts in den Himmel blickt, sieht meistens: nichts. Der Blick zu den Sternen wird von Straßenlaternen und strahlenden Werbeschildern gestört, die landauf, landab die Nacht fast zum Tage machen. Das hat gesundheitliche und ökologische Folgen – für Tiere und Menschen.

 

Satellitenaufnahmen zeigen deutlich: In allen industrialisierten und bevölkerungsreichen Ländern leuchtet es in den Nachtstunden sehr hell. Wie ist es möglich, den Blick auf den faszinierenden Sternenhimmel und dunkle Nächte wieder zurückbekommen? Wie kann man notwendige Beleuchtung bei Nacht umweltschonend und effizient einsetzen?

 

Der Verlust der Nacht ereignete sich fast unbemerkt. Heute leben 99 Prozent der Europäer unter einem Himmel, der von zu viel Licht verschmutzt ist. Mehr als sechzig Prozent können die Milchstraße nicht mehr sehen. Dies geht aus Karten zur globalen Aufhellung des Himmels hervor, die ein internationales Forscherteam auf der Basis von hochauflösenden Aufnahmen und Daten eines NASA-Satelliten veröffentlicht hat.

 

Auch in Deutschland wird es ständig heller: Eine Studie des Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) aus dem Jahr 2018 zeigt, dass in den meisten Bundesländern die nächtliche Beleuchtung zunimmt – sowohl in der Fläche als auch in der Helligkeit.

 

Die natürlich dunkle Nacht

 

Doch eine andere Entwicklung ist möglich. Dafür setzt sich seit vielen Jahren der Astronom Andreas Hänel ein. Der ehemalige Leiter des Planetariums Osnabrück hält Vorträge und ist aktiv als Sprecher sowohl der Fachgruppe Dark Sky der Vereinigung der Sternenfreunde als auch der Kommission Lichtverschmutzung der Astronomischen Gesellschaft. Sein ganzes Engagement gilt der natürlich dunklen Nacht. Er klärt auf über ökologisch vertretbare Beleuchtung und unterstützt die Einrichtung von Sternenparks. »Ein Sternenpark ist wie ein Nationalpark für Sterne«, erläutert Hänel. Dort lässt sich die unfassbar große Zahl von Sternen beobachten, die sich wie in einem zart-hell leuchtenden, breiten Streifen über den Nachthimmel ziehen: die Milchstraße, jene Galaxis, zu der auch unsere Sonne gehört.

 

Auf Hänel geht die Errichtung des ersten deutschen Sternenparks im Westhavelland zurück. Er berichtet: »Als ich im Jahr 2009 eines nachts zum Dorf Gülpe an der Havel fuhr, habe ich dort den dunkelsten Wert gefunden, den ich jemals gemessen habe.« Nach dieser Entdeckung rief er bei der Leitung des dortigen Naturschutzparks Westhavelland an und eruierte, ob man sich vorstellen könnte, einen Sternenpark einzurichten. Fünf Jahre Vorbereitung und Abstimmung brauchte es, bis im Februar 2014 der 1380 Quadratkilometergroße Sternenpark eröffnet wurde. Er erstreckt sich über das Gebiet des Naturparks in Brandenburg und die Gemeinde Schollene in Sachsen-Anhalt.

 

Mittlerweile gibt es in Deutschland fünf Sternenparks, unter anderem im Nationalpark Eifel, im Biosphärenreservat Rhön und auf der Winklmoos-Alm in den Bayerischen Alpen. Die Nordseeinseln Pellworm und Spiekeroog bewerben sich aktuell um diese Anerkennung, die die International Dark Sky Association mit Sitz in den USA nach strengen Kriterien vergibt. Als Ideengeber und Vermittler ist Astronom Hänel stets präsent. »Spiekeroog ist die dunkelste Insel«, stellte er mit seinen Messgeräten fest und regte deren Bewerbung an. Auf Pellworm ging die Initiative vom Kurdirektor aus, der die Insel mit einem Sternenpark bekannter machen und Naturliebhaber als Gäste gewinnen möchte.

 

Kommunen, die Sternenpark sein wollen, verpflichten sich zu einem Licht-Management, das die Natur und die Ressourcen schont: möglichst keine oder wenig Beleuchtung in den Nachtstunden, nur auf die Verkehrsflächen gerichtet und nicht an Fassaden oder in Gärten. Die Farbe des künstlichen Lichts muss warm-weiß oder besser noch gelb-orange sein, damit nachtaktive Insekten und andere Tiere ungestört leben und sich fortpflanzen können.

 

Sehr eindrucksvoll und dunkel sind die Nächte in der nördlichen Hälfte des Sternenparks Westhavelland. Dort gibt es Seen, Flussläufe und Auen, Äcker und Wiesen, aber kaum Ortschaften. Bei klarem Himmel und mit Hilfe einer Sternenkarte, die bei der Orientierung am Nachthimmel unterstützt, kann man im Sternbild Andromeda mit einem üblichen Fernglas den Andromeda-Nebel sehen. Er ist eine benachbarte Galaxie unserer Milchstraße und drei Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Das Licht, das ins Auge des Beobachters trifft, war drei Millionen Jahre durch das All unterwegs. Damit sieht ein Mensch heute den Andromeda-Nebel so, wie er vor drei Millionen Jahren war.

 

Der Blick in den Kosmos

 

Beim Blick zu den Sternen beginnt man, die Dimensionen des Kosmos zu erahnen, in dem die Erde – und das Leben auf ihr – mit 220 Kilometern pro Sekunde rasend schnell unterwegs ist. Man darf sich wundern über hunderte von Milliarden Sonnen, Sonnensysteme und Galaxien. Darüber, dass es Leben gibt auf einem kleinen Planeten in diesem unendlichen Raum.

 

Was aber geschieht in den Städten und Gemeinden, über die nachts eine weithin sichtbare Lichtglocke hängt, die den Blick zu den Sternen fast oder ganz unmöglich macht? Einige Kommunen zeigen, wie man die öffentliche Beleuchtung so gestaltet, dass sowohl Sicherheit gewährleistet ist als auch die Umwelt geschont wird. Dabei gilt: Zu viel und zu helles Licht in kalten Farben, das seitlich und nach oben in den Himmel streut, muss abmontiert werden. Denn es tötet Insekten, stört nachtaktive Arten wie zum Beispiel Fledermäuse und verwirrt Zugvögel bei der Orientierung. Auch der menschliche Schlaf leidet unter dieser Beleuchtung.

 

Um Menschen und Tiere zu schützen, stellt die Stadt Springe, südöstlich von Hannover gelegen, die gesamte Straßenbeleuchtung auf LED-Leuchten um. Sie lassen sich in einen warmen Farbton einstellen und dimmen. Ab 22.30 Uhr werden die Leuchten auf dreißig Prozent der sonst eingestellten Leistung gedimmt. Das ist nicht nur gut für bessere Sicht in den Himmel, sondern auch für das Klima und die Stadtkasse. Es verbraucht weniger Strom. Andere Städte und Gemeinden, zum Beispiel Rheine oder Herford, schalten ihre Beleuchtung in den tiefen Nachtstunden, in denen in der Regel niemand mehr unterwegs ist, mit der Ausnahme von Straßenkreuzungen ganz ab. Die Sicherheit leide darunter nicht, heißt es bei der Stadt Rheine. Statistiken belegen das: Helligkeit mag für das Sicherheitsgefühl eine Rolle spielen, gefährlicher ist es in wenig beleuchteten Gegenden aber nicht.

 

»Bei der Straßenbeleuchtung hat sich in den letzten Jahren viel Positives getan«, sagt Astronom Hänel, der mittlerweile ein ausgewiesener Beleuchtungsexperte geworden ist. Am Rande einer Ausfallstraße von Osnabrück erläutert er, worauf es ankommt: Die Straßenlampe muss nach oben und zu den Seiten voll abgeschirmt sein, damit das Licht ausschließlich nach unten auf die Straße fällt, wo es gebraucht wird. Das Licht darf nicht zu hoch hängen, sein Farbton muss warm sein.

 

Bei vielen Hausbesitzern hat sich allerdings noch nicht herumgesprochen, dass Kugellampen in Hauseingängen und Gärten, die das Licht rundum streuen, die Nacht stören. An vielen Geschäften und Unternehmen werden Werbetafeln die ganze Nacht hindurch hell angestrahlt. »Sorry, aber hier wird nur Mist gemacht«, entfährt es Hänel, als er mit seinem Auto auf den Parkplatz eines Supermarkts einbiegt. Das Unternehmen hat zu dieser Stunde – es ist nach 22 Uhr – geschlossen, der Parkplatz ist leer. Aber vier blendend helle LED-Strahler auf hohen Masten strahlen auf den Platz und weit darüber hinaus, auf umliegende Gebäude und in den Himmel. »Ich werde morgen einen Brief an die Inhaberin schreiben«, sagt Hänel. Der Astronom ist entschlossen, die Sterne und die Nacht zu schützen. Dafür setzt er sich im Großen wie im Kleinen ein. Jede Lichtquelle, das abgeschaltet wird und den Himmel nicht mehr verschmutzt, zählt.

 

Publik Forum Nr. 19                         8. Oktober 2021